Der verlorne Sohn
richtigen Faden, dann haben Sie das ganze Gewebe.«
»Ich werde ganz irre an mir. Da Sie von vier Personen sprechen, ist es mir ganz so, als ob ich mit ihnen zu thun gehabt habe. Und dennoch ist es mir auch genau so, als ob ich wegen Fräulein Laura hier den Saal verlassen hätte, ganz genau so.«
»Wegen mir,« fragte sie verlegen. »Ich habe keine Ahnung. Ich weiß von gar nichts.«
»Das ist richtig. Es drohte Ihnen eine Gefahr, irgend eine Gefahr, welche ich von Ihnen abwenden wollte.«
»Es ist mir nichts geschehen.«
»Es kann Ihnen aber noch geschehen. Ich hatte Etwas gehört, Worte, auf die ich mich leider nicht mehr besinnen kann. Da ging ich. Ich bin dabei niedergeschlagen worden. Das ist ein Beweis, daß die erwähnte Gefahr wirklich existirt, daß sie sogar eine sehr ernste ist.«
»Was könnte das sein?« wurde rundum gefragt.
Die Mitglieder der Werner’schen Familie begannen bereits, besorgt zu werden, wurden aber von dem Polizisten beruhigt.
»Das sind Hypothesen. Herr Hauck kämpft mit Unklarheiten, welche uns jetzt nicht stören dürfen. Warten wir, bis es klar geworden ist.«
»Aber ich bin kein Freund vom Warten,« meinte der Paukenschläger. »Was man gleich thun kann, soll man nicht aufschieben. Wollen wir gehen?«
»Bleiben wir noch,« antwortete Adolf. »Die jetzige Stunde ist unpassend.«
»Warum?«
»Wenn Sie sich beziehendlich des Geschehenen wirklich zurechtfinden sollen, dürfen Sie möglichst wenig gestört werden. Jetzt aber giebt es zu viel Verkehr. Warten wir also, bis zu späterer Zeit sich die Straßen entleert haben.«
»Sie mögen Recht haben; aber inzwischen könnte man mich hier fort holen, um mich einzusperren; denn ich habe mich ohne Erlaubniß aus dem Krankenhause entfernt.«
»Haben Sie deshalb keine Sorge. Sie können sich curiren lassen, wo Sie wollen.«
Jetzt war Hauck beruhigt. Uebrigens war es ihm mit der schnellen Entfernung von hier gar nicht so sehr Ernst gewesen. Der Anblick Laura’s hatte seine gestrigen Regungen aus dem Schlafe erweckt. Er erinnerte sich des Eindruckes, den sie auf ihn gemacht hatte, und dieser Eindruck verstärkte sich nun heute desto mehr, je länger er hier mit ihr an demselben Tische saß.
Ihre Augen waren so groß, so tief und dunkel wie ein See, welcher untergegangene Geheimnisse birgt. Es lag auf ihnen wie ein feuchter Schimmer, als ob an jedem Augenblicke die Thränen hervorbrechen wollten.
Als er diese Bemerkung im Stillen für sich machte, fuhr es ihm auf einmal wie ein heller Blitz durch den Kopf.
»Ich habe alle Ursache dazu, für mein Lebenlang dem Lachen zu entsagen!«
Das waren die räthselhaften Worte, welche sie gestern zu ihm gesprochen hatte. Jetzt wußte er sie auf einmal. Laura war unglücklich, das war gewiß. Aber aus welchem Grunde? Er nahm sich fest vor, dies zu erfahren.
Aber diese Worte waren doch nicht diejenigen, wegen deren er den Saal verlassen hatte. Sie enthielten keine Drohung. Hatte überhaupt Laura eine Drohung ausgesprochen? Konnte sie eine Drohung äußern, die doch gegen sie selbst gerichtet gewesen wäre?
Er sann und sann. Er marterte sich – vergebens. Endlich gegen Mitternacht rieth Adolf zum Aufbruche.
War es absichtlich oder unabsichtlich, Laura nahm das Licht, um die beiden Scheidenden vor die Thüre zu bringen. Adolf gab ihr zuerst die Hand und ging dann langsam fort, jedenfalls mit Berechnung. Hauck hielt ihr auch die Hand entgegen und fragte halblaut:»Haben wir gestern wirklich nur Gewöhnliches gesprochen?«
»Ja,« antwortete sie.
»Ich bitte Sie sehr, aufrichtig zu sein! Ein einziges Wort kann mir das erwünschte Licht bringen.«
»Ich kann mich wirklich auf nichts Außergewöhnliches besinnen.«
»Ein Wort aber kommt mir ungewöhnlich vor. Sprachen Sie nicht davon, daß Sie für Ihr Lebenlang dem Lachen entsagt hätten?«
»Ja, das habe ich gesagt!« antwortete sie zögernd.
»Meine Frage ist unhöflich und belästigend; ich weiß recht gut; aber ich muß mir die Antwort erbitten; ich brauche sie. Warum sagten Sie mir diese Worte?«
»Weil Sie davon sprachen, daß ich so ernst sei.«
»Aus keinem anderen Grunde?«
»Nein.«
»Nicht etwa, weil Sie glaubten, es drohe Ihnen eine Gefahr?«
»O nein. Ich habe keine Ahnung von einer Gefahr, die mir drohen könnte.«
»Das beruhigt mich einigermaßen. Aber vorhanden ist diese Gefahr; das weiß ich genau; ich habe Ihretwegen das Tivoli verlassen. Verzeihen Sie mir das unbequeme Forschen! Es geschieht wirklich zu Ihrem
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