Der verlorne Sohn
Ereignisse der letzten Nacht nicht nur in der Residenz, sondern im ganzen Lande herumgesprochen. Dadurch wurde bekannt, was weitere Kreise bisher noch nicht gewußt hatten, nämlich daß Robert Bertram, der Pflegesohn des armen Schneiders, nicht nur der Verfasser der berühmten Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder, sondern der verlorene und wiedergefundene Sohn des ermordeten Freiherrn Otto von Helfenstein sei.
In Folge dessen wurde man doppelt gespannt auf den Ausgang des Monstre-und Criminalprocesses, welcher alle Welt jetzt in Athem hielt.
Freilich gab es bei diesem Processe eine solche Masse von Arbeit zu bewältigen, daß Monat um Monat verging.
Nach den Landesgesetzen mußte jeder Proceß binnen höchstens zwölf Monaten ausgetragen sein. Hier aber war dies eine Unmöglichkeit. Das hohe Ministerium erklärte öffentlich, daß diese Ausnahme nicht zu vermeiden sei.
Holm war indessen mit Hilda und Ellen nach Italien gegangen – Hagenau hatte sich ihnen angeschlossen, denn er war jetzt Hilda’s erklärter Bräutigam.
Droben im Gebirge, zwischen Brückenau und Schloß Hirschenau, gab es seit längerer Zeit ein reges Leben. Der Fürst von Befour hatte ein bedeutendes Areal gekauft und ließ da auf einer Höhe, welche zu einer Seite fast senkrecht in die Tiefe fiel, nach außerordentlich detaillirten Angaben ein Schloß bauen.
Das brachte der armen Bevölkerung reichen Erwerb, zumal das Schloß schnell fertig werden sollte und also eine desto bedeutendere Anzahl Menschen beschäftigt werden mußte.
Alma von Helfenstein hatte von diesem Bau gehört; sie war dem Geliebten einige Male mit dem Wunsche nahegetreten, ihn in’s Gebirge zu begleiten, um den Neubau in Augenschein zu nehmen, doch hatte er sie stets gebeten, ihm zu Liebe davon abzusehen.
Endlich, endlich war der Proceß so weit gediehen, daß er zur Verhandlung gelangen konnte. Ein so außerordentlicher Fall stand in den Annalen der Criminalgeschichte noch gar nicht verzeichnet. Tausende und Abertausende bemühten sich, Eintrittskarten zu erlangen – vergebens. Die berühmtesten Rechtslehrer und Polizisten aller Länder kamen herbei, um beizuwohnen. Die Journalistentribüne war zum Ersticken besetzt. Reporter standen auf allen Treppen und alle anliegenden Straßen waren mit Menschen gefüllt.
So ging es Tag um Tag. Die Verhandlung dauerte über sechs Wochen. Dann wurde das Urtheil gesprochen.
Am meisten Aufsehen erregte es, als man erfuhr, daß der Hauptzeuge und zugleich Derjenige, der Alles entdeckt hatte, nämlich der Fürst von Befour, eigentlich der vor über zwanzig Jahren unschuldig verurtheilte Gustav Brandt sei. Ihm wurde eine geradezu fieberhafte Theilnahme gewidmet, und wo er sich sehen ließ, drängten sich die Menschen an ihn, nur um ihn zu sehen. Er hatte alle Verhüllung abgelegt und zeigte sein natürliches Gesicht, so daß der Fürst von Befour gar nicht mehr in ihm zu erkennen war. Uebrigens wußte man, daß er das Fürstenthum Befour in letzter Zeit an Frankreich verkauft und auf Titel und Rang eines Fürsten verzichtet habe. Er wollte wieder Brandt heißen, da nun die Ehre dieses seines Namens wieder hergestellt war. Freilich sollte er viele, viele Millionen für sein Fürstenthum erhalten haben.
Das sich über sehr viele Personen erstreckende Urtheil lautete:
Der Baron Franz von Helfenstein, sogenannter Hauptmann und Waldkönig zum ehrlosen Tode durch den Strang. Der Sohn des Schmiedes Wolf wurde freigesprochen. Sein Vater hatte Alles auf sich genommen.
Der Riese Bormann erhielt fünf Jahre Zuchthaus, der Jude Salomon Levi ebensoviel und dessen Frau zwei Jahre, Judith, ihre Tochter, erhielt ein Jahr Gefängniß.
Herr August Seidelmann, der Fromme, wurde zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurtheilt, und Diejenigen, welche an seinem Mädchenhandel theilgenommen hatten, erhielten ebenso ihren Lohn. Der Apotheker Hornmußte auch nach Rollenburg, ebenso Jacob Simeon und sein früherer Gehilfe Mehnert, dessen Geliebte Hulda das gleiche Schicksal traf, während die dicke Jette ihres offenen Geständnisses wegen sich einer milderen Strafe erfreute.
Auch Doctor Mars erhielt seine Strafe. Er wurde für moralisch unfähig erklärt, seine Anstalt fort zu leiten, und mußte dieselbe aufgeben.
Die Leda wurde zu zehn Jahren, ihre Mutter zu fünf Jahren Zuchthaus verurtheilt.
Herr Baumgarten, der Director des Circus Real, wanderte für drei Jahre in das Zuchthaus, während sein Bruder, der Intendant, abgesetzt wurde und sich für mehrere
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