Der verlorne Sohn
Wasserstraße, sagte der alte Schwindsüchtige.«
»Das könnte nur Salomon Levi sein. Vielleicht haben sie etwas versetzt!«
»Wohl schwerlich. Sie hatten nichts mehr, was einen Werth hatte. Und ich schätze, daß der Robert Bertram, welcher mir das Geld brachte, sich im Besitze von wenigstens fünfzig Thalern befand.«
»Alle Wetter! Das wäre allerdings viel! Was könnte den Juden vermocht haben, der Familie diese Summe zu opfern?«
»Zu opfern?« fragte der Vorsteher, indem er überlegend die Achsel zuckte. »Salomon Levi bringt niemals ein Opfer. Was er thut, das hat sicher seine Berechnung. Er unternimmt niemals Etwas, was ihm nicht Vortheil bringt.«
»Um so neugieriger wäre ich, die Gründe seiner Großmuth zu erfahren.«
»Wollen Sie mich mit dieser Angelegenheit betrauen?«
»Sehr gern. Ich würde Ihnen dankbar sein. Aber der Jude ist ein schlauer Fuchs. Man müßte sehr vorsichtig sein.«
»Meinen Sie etwa, daß er dem Vorsteher der Schwestern-und Brüdergemeinde an Klugheit überlegen sei?«
»Hm, wer kann das entscheiden?«
»Herr Baron, ich bin ein Verkünder der heiligen Schrift, und diese sagt: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben!«
»Das Letztere kann wegfallen, das Erstere aber will ich von Ihnen erwarten!« lachte der Baron. »Wissen Sie vielleicht, wer das Geld von dem Juden geholt hat?«
»Der Robert jedenfalls.«
»So müßte es gerade nur seine Person sein, auf welche sich das Interesse des Juden bezieht.«
»Vermuthlich!«
»Forschen Sie, forschen Sie! Aber, wie gesagt, vorsichtig, höchst vorsichtig! Da Geld vorhanden ist, so vermuthe ich, daß die Noth bei Bertram’s einstweilen gewichen ist?«
»Grad das Gegentheil. Sie ist in erneutem und allerhöchstem Maße eingetreten.«
»Wieso?«
»Haben Sie denn noch nichts von den neuesten Neuigkeiten, welche die ganze Bewohnerschaft der Residenz aufregen, vernommen?«
»Nein.«
»Das ist kaum glaublich!«
»Es ist aber sehr leicht erklärlich. Ich war sehr spät noch zu einer Soiree und bin daher erst vor einer Viertelstunde erwacht. Was giebt es denn?«
»Nun, zunächst ist gestern der Mechanikus Wilhelm Fels arretirt worden. Er sitzt in Untersuchung.«
Es gelang dem Baron, ein höchst überraschtes Gesicht zu machen. Er fragte:
»Arretirt und in Untersuchung? Weshalb denn?«
»Wegen Unterschlagung und Veruntreuung von Arbeitsmaterial.«
»Ist ihm recht geschehen! Was sagt seine Geliebte dazu?«
»Seine Geliebte? Wen meinen Sie, gnädiger Herr?«
»Nun, Marie Bertram!«
»Ah, das ist seine Geliebte? Drum, drum schrie sie so auf, als sie hörte, daß er gefangen sei! Aber sie kann nicht sehr an ihn denken, denn sie hat jetzt mit ihren eigenen Angelegenheiten genug zu thun. Ihr Vater ist todt.«
»Der alte Bertram? Endlich, endlich!«
Es blitzte einen Augenblick lang wie ein schadenfroher Triumph über das Gesicht des Barons. Der Vorsteher bemerkte es. Er ließ ein verschmitztes ironisches Lächeln sehen und antwortete: »Endlich, sagen Sie? Die Auflösung des Schwindsüchtigen ließ sich allerdings in Bälde erwarten. Vielleicht haben Sie sich darauf gefreut, der Versorger seiner Waisen zu werden?«
Der Gefragte wußte, daß er durchschaut sei, aber er nahm eine möglichst unbefangene Miene an und sagte in ernstem Tone: »Wollen Sie vergessen, daß der Todte in meinem Hause gewohnt hat und auch da gestorben ist?«
»Ja, ja!« nickte der Administrator. »Das legt Ihnen gewisse moralische, humanitaire und auch christliche Verpflichtungen auf. Vielleicht überlasse ich es Ihnen, dem Drange Ihres wohlthätigen, weichen Herzens Folge zu leisten.«
»Sie, mir? Wieso?«
»Ich werde Vormund sein.«
»Das ist recht! Das ist gut!« rief der Baron im Tone der Genugthuung. »Was haben Sie beschlossen?«
Herr Seidelmann zupfte nachdenklich an seinen Handschuhen herum. Er machte in diesem Augenblicke ganz das Gesicht des Fuchses in der Fabel, als dieser der Henne erzählte, daß der Marder weder Fleisch noch Ei vertragen könne. Dann nickte er vor sich hin und sagte langsam:»Euer Gnaden wissen, daß ich ein treuer und eifriger Arbeiter im Weinberge des Herrn bin?«
»Ja, ja,« antwortete der Baron ungeduldig. »Wir wissen Beide, was wir von einander zu halten haben, denn wir haben uns ja zur Genüge kennengelernt.«
»Ich hoffe das, ich hoffe das! Wird mir das Amt des Vormundes übergeben – definitiv ist es nämlich noch nicht geschehen – so werde ich es ebenso treu und eifrig verwalten. Vor
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