Der verlorne Sohn
Riesen Bormann dort eingebrochen, um aus der Schublade des gnädigen Fräuleins die Juwelen zu stehlen. Man hat sie erwischt und festgenommen und nun stecken sie im Gefängniß, wo die Strafe ihrer wartet.«
Die Augen des alten, braven Mannes wurden stier; aus seinen Lippen wich alle Röthe, und sein eingefallenes Gesicht war aschfahl geworden. Seine Brust arbeitete wie ein Vulkan, bei welchem eine Eruption bevorsteht.
»Riese – Bormann – ein – ge – brochen! Gefäng – niß! Gott – mein Gott! – ich – ich ersticke! Es – es – kann nicht sein! Es – ist – ein Lüge!«
»Lästere nicht, Alter!« rief der Fromme. »Ich komme aus dem Gefängnisse. Ich habe ihn gesehen. Er liegt noch wie todt da von dem Schlag, den er mit dem Todtschläger erhalten hat, als er den Polizisten mit einem Messer erstechen wollte.«
»Todt –! Mess – sser! Er – er – er – stech –«
Mehr brachte er nicht heraus, wenigstens keine Worte mehr. Es begann ganz eigenthümlich in seiner Kehle zu gurgeln; es gab ihm einige Stöße; dann war es, als ob Jemand ihn packe und mit aller Macht zur Erde schmettere. Er stürzte mit fürchterlicher Wucht nieder, und ein dicker, beinahe armesstarker Blutstrom quoll aus seinem Munde. Der Schreck hatte seine Adern zerschnitten und seine Lunge zerrissen: ein Blutsturz machte ihn zur Leiche. –Marie stieß abermals einen Schrei aus. Er klang, als wenn er gar nicht aus einer menschlichen Kehle komme. Sie warf sich auf den Vater, mitten in die rauchende Blutlache hinein. Die Kleinen kamen auch herbei, voller Angst und Entsetzen über den grausigen Anblick.
»Gott! Gott! Erbarme Dich!« rief Marie. »Der Vater stirbt. Unser guter Vater stirbt! Helft, helft! Wir müssen ihn aufrichten!«
Die schwachen Geschwister konnten nicht helfen. Sie schleppte den Todten zur Wand, um ihn an derselben aufzurichten. Der Vorsteher stand dabei, ohne ihr zu helfen.
Da wurde die Thür geöffnet. Die Blinde erschien. Sie hatte den Lärm über sich gehört und dann einen schweren Fall. Nachher war ihr Wasser von oben durch die halbfaule Decke in das Gesicht getropft; sie dachte, Wasser, es war aber Blut. Sie hatte es mit den Händen breitgewischt und sah nun schrecklich aus. Sie hatte sehen wollen, was hier oben vorgehe und sich heraufgetappt.
»Was ist’s denn? Was jammerst Du, Marie?«
»Der Vater stirbt! Der Vater stirbt!« jammerte die Gefragte. »Gott, mein Gott! Kann mir denn niemand helfen?«
»Er stirbt? O, Du mein Heiland! Und ich kann nicht sehen!« klagte die Blinde. »Ist denn weiter niemand da?«
»Ja, es ist Jemand hier,« ertönte die Stimme des frommen Mannes. »Gott läßt selbst den Unbußfertigen nicht allein in seiner letzten Stunde.«
»Sie, Herr Seidelmann? So haben Sie ihn gewiß wieder einmal bis auf’s Blut geärgert. Kein Mensch kann das so gut wie Sie!«
»Weib, zügle Deine Zunge! Hier hat Gott gerichtet. Der Sohn dieses Mannes sitzt als Einbrecher im Gefängnisse. Der Vater trägt die Schuld an den Thaten dieses ungerathenen Buben; darum wurde er von Gott mit dem Tode bestraft. Und doch ist die ewige Gerechtigkeit nicht ganz ohne Barmherzigkeit. Die Gnade des ewig Langmüthigen hat den Alten abgerufen, damit er die Verurtheilung seines Sohnes nicht erleben möge.«
Die Blinde hatte sich ihm genähert. Es war, als ob ihr die Augen aus dem Kopfe treten wollten, so waren dieselben dahin gerichtet, wo der Vorsteher stand.
»Wie?« fragte sie mit bebender Stimme. »Robert soll ein Einbrecher sein? Er soll im Gefängnisse sitzen?«
»Ja. Ich war bei ihm.«
»Sie haben ihn im Gefängnisse gesehen?«
»Mit diesen meinen Augen!«
»Und Sie sind dann hierher geeilt, um seinem Vater die Kunde zu überbringen?«
»Wie lieblich sind die Füße der Boten, welche Frieden predigen und das Heil verkündigen!«
»Den Frieden und das Heil?« fragte sie mit erhobener Stimme. »Herr Seidelmann, wenn Sie wirklich die Wahrheit reden, wenn Robert wirklich im Gefängnisse steckt, so ist er sicher unschuldig! Sie selbst aber gehören hinein. Sie sind der Mörder, der vorsätzliche Mörder dieses braven Mannes, dessen Familie nur den einen Fehler begangen hat, ein Logis zu bewohnen, dessen Administrator Sie sind. Die weltliche Obrigkeit kann Ihnen wohl nichts anhaben, aber Gott wird Sie richten!«
Da rief er ihr zornig entgegen:
»Was höre ich? Ist denn der Antichrist in Gestalt einer blinden Frau auf die Erde gekommen? Diese Menschen sind allzumal Sünder, Einer wie der Andere.
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