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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wenige Augenblicke vor dem Vorsteher hatte auch der Fürst von Befour das Palais des Barons betreten, sich aber zur gnädigen Frau melden lassen. Es schien, als ob sie die heutige Wiederholung seines gestrigen Besuches geahnt habe. Sie hatte sich geschmückt wie eine Braut, welche am Abende des Hochzeitstages im Boudoir den Bräutigam erwartet.
    Sie war wirklich schön; sie war ganz geeignet, sogar einen Mann zu verführen, der weit jünger war, als sie. Der Fürst wurde natürlich sofort vorgelassen. Sie empfing ihn mit einem freudigen Lächeln, welches ihm sagte, daß er hier Erfüllung jedes seiner Wünsche finden werde.
    »Darf ich stören?« fragte er nach der ersten Verbeugung.
    »Ein Schüler stört nie!« antwortete sie.
    »Ach, wie glücklich bin ich, daß Sie sich dieses Verhältnisses erinnern!«
    Er nahm ungenirt neben ihr auf dem Divan Platz.
    »Wie steht es mit dem Befinden, lieber Fürst?«
    »
Mille grace!
Sie machen mich auf den Fehler aufmerksam, Sie nicht nach dem Ihrigen gefragt zu haben. Ich that es nicht, weil ich Sie so reizend vor mir sehe! Ihr Befinden kann kein schlimmes sein?«
    »O wehe!« sagte sie seufzend.
    »Also doch ein Leiden?«
    »Vielleicht!«
    »Wäre ich ein Arzt!«
    »Giebt es nicht Leiden, welche auch von Laien geheilt werden können?« fragte sie kokett.
    »Glücklicher Weise, ja!«
    »Welche wären das?«
    »Hm! Zahnweh!«
    »Pfui! Womit?«
    »Mit einem Kusse!«
    »Das scheint mir Sympathie.«
    »Allerdings. Ich bin nämlich so glücklich, zu jenen Laien zu gehören, denen bereits gar manche Kur gelungen ist.«
    »Bei Herren?«
    »Sehr oft, gnädige Frau!«
    »Aber bei Damen nie?«
    »Fast noch öfter als bei Herren. Ich curire nämlich weder ollo-noch homöo-, noch hydropathisch. Ich mache es wie Christus, der Heiland. Ich lege die Hand auf und sage einige Worte.«
    »Ah!« lachte sie. »Wollen Sie mit Hilfe dieser Wunder eine neue Secte gründen?«
    »O nein. Das überlasse ich dem Schuster Seidelmann. Es genügt mir vollständig, wenn es mir gelingt, eine Einzige zu meinem Glauben zu bekehren.«
    »Darf man fragen, wer diese Eine ist?«
    »Nur Sie können es sein, meine Theure!«
    Sie versetzte ihm einen liebkosenden Schlag auf die Wange und fragte weiter:
    »Und welches ist der Glaube, zu dem ich bekehrt werden soll?«
    »Der Glaube, daß ich im Stande bin, das Leiden zu heilen, über welches Sie vorhin einen so interessanten Seufzer ausstießen.«
    »Sie machen mich wirklich neugierig, Durchlaucht! Mein Leiden ist nämlich schwer zu erkennen.«
    »O, ich bin ein guter Patholog!«
    »Nun gut! Versuchen wir es!«
    »Ich werde Sie aber einer sehr strengen Prüfung unterwerfen!«
    »Ich bin geduldig, Herr Doctor!«
    »Nun gut! Bitte, Ihren Puls!«
    »Hier!«
    Sie reichte ihm die Hand. Er nahm dieselbe, fühlte eine Weile aufmerksam und sagte dann:
    »Und nun den anderen.«
    »Hier!«
    Sie gab ihm die andere Hand. Er aber schüttelte den Kopf und sprach:
    »Ich sehe, daß Sie es bisher noch nie mit einem erfahrenen Arzte zu thun gehabt haben. Man muß wissen, wie viele Sekunden das Blut braucht, um von einem äußersten Ende des Körpers zum anderen zu gelangen.«
    »Interessant!« lachte sie. »Welche Enden meinen Sie?«
    »Diejenigen Stellen des Körpers, welche am weitesten von einander entfernt sind, also Hand und Fuß.«
    »Allerliebst, allerliebst! Das heißt, Sie wollen mir den Puls auch am Fuße befühlen?«
    »Ja. Das heißt über dem Fußgelenk, wie man es ja auch hinter dem Handgelenk macht.«
    »Ich muß gehorchen. Aber Sie werden leider gezwungen sein, sich ein Wenig zu bücken.«
    »Kommen Sie mir zu Hilfe. Hier ist ein Tabouret.«
    Sie legte gehorsam den einen Fuß auf das Tabouret. Er legte seine Finger decent um das Gelenk desselben, ergriff dann ihre Hand und begann mit der ernsthaftesten Miene zu horchen.
    »Hm!« brummte er dann. »Das ist vielsagend!«
    »Was?«
    »Ärztliches Geheimniß! Jetzt werden wir nun den Mittelpunkt des Pulses zu recognosciren haben.«
    »Den Mittelpunkt? Wo befindet sich derselbe?«
    »Ich meine natürlich das Herz.«
    »Wie wollen Sie das finden?«
    »Ich werde es mir suchen. Erlauben Sie?«
    »Eigentlich nicht!«
    »Ja, dem Arzte niemals! Aber weil ich ein Laie bin, so –«
    »So –? Was denn, Durchlaucht? Ah, ich glaube aus dem gestrigen Schüler ist ein kühner Virtuos geworden!«
    »Nur um Sie von Ihrer Krankheit zu befreien!«
    Er hatte den linken Arm um ihre Taille gelegt und suchte nun mit der rechten Hand nach ihrem

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