Der verlorne Sohn
so ganz selbstverständlichen Weise mit ihr gesprochen hatte.
»So ist es!« antwortete sie.
»Aber diese Liebe ist nicht eine willenlose Gluth?«
»Nein.«
»Sie hätten genug Macht über sich, mich nicht zu lieben. Aber Ihr Herz ist mir nicht abgeneigt, und da Ihr Verstand dabei auch seine Rechnung findet, so haben Sie Ihrer Liebe gestattet, sich mit jener Rapidität zu entwickeln, welche allen Ihren Seelenstimmungen eigen ist.«
»Wahrhaftig, Sie kennen mich ganz und gar! Aber denken Sie nicht, daß meine Liebe so gar sehr von meinem Willen abhängig ist. Ich bringe Ihnen eine hochlodernde Gluth, eine schrankenlose Hingebung und eine unverbrüchliche Treue entgegen. Was bieten Sie mir dafür?«
»Nichts!«
Sie fuhr zurück und erbleichte. Das hatte sie nicht erwartet.
»Nichts?« fragte sie beinahe tonlos.
»Ja, gar nichts!«
»Mein Gott, ist es denn möglich, daß ich Sie recht verstehe?«
Er las eine förmliche Herzens-oder Seelenangst aus dem schwimmenden Blicke, den sie auf ihn gerichtet hielt. Er hatte seine Absicht erreicht. Er las auf dem Grunde ihrer Seele, daß sie seit heute, seit gestern nicht mehr so war, wie sie früher gewesen war. Sie liebte ihn wirklich; sie liebte ihn so, wie sie wohl noch nie geliebt hatte; sie konnte ohne seine Gegenliebe sich wohl nie, nie wieder glücklich fühlen.
»Sie verstehen mich allerdings nicht recht, beste Baronin,« antwortete er. »Sie reden von einer lodernden Gluth, einer schrankenlosen Hingebung und einer unverbrüchlichen Treue, welche Sie mir entgegenbringen; Sie fragen mich, was ich Ihnen dafür biete, und ich bin gezwungen, mit ›Nichts, gar nichts‹ zu antworten, denn diese Gluth, diese Hingebung, diese Treue, sie können nicht schrankenlos und unverbrüchlich sein, wie Sie sagen, sondern sie haben ihre, und zwar höchst engere Grenzen.«
»Nein.«
»O, doch!«
»Nein, sage ich!« wiederholte sie in erhobenem Tone, indem ihre Augen in einem Feuer glühten, welches man nicht nur ein vulkanisches, sondern ein plutonisches hätte nennen mögen. Es war ein tief und still zehrendes Feuer, welches leicht den Tod bringen konnte.
»Sie sind – –!«
Er sah ihr mit jenem starren Blick in die Augen, welcher auf eine unterirdische oder vielmehr unterseelische Gefühlsrevolution schließen läßt, die unter dieser starren, ausdruckslosen Irisdecke wüthet. Sie schlang die Arme fester um ihn, drückte ihn inniger an sich und mahnte:»Sprechen Sie, sprechen Sie weiter!«
»Darf ich denn?« fragte er.
»Ja, ich wünsche es! Ich bitte Sie darum!«
»Sie gehören einem – einem anderen Manne. Sie sind verheirathet!«
»Aber ich liebe diesen Mann nicht!«
»Wenn ich liebe, will ich glücklich machen und glücklich sein. Welche Garantien des Glückes aber bietet mir die Liebe zu einem Weibe, welche das ganze, persönliche, ausschließliche Eigenthum eines Andern ist, dem das Gesetz das Recht giebt, ihre Seele, ihr Herz, ihr Leben, ihren Körper zu besitzen, wo und wann es ihm beliebt?«
Da sanken ihre Arme langsam von ihm nieder. Sie erhob sich und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb sie vor ihm stehen und fragte, indem die tiefste Erregung aus allen ihren Zügen sprach: »Durchlaucht, wollen wir ohne Rücksicht mit einander sprechen? Darf ich rückhaltslos und unumwunden mit Ihnen reden?«
»Sie dürfen es. Es ist sogar mein inniger Wunsch, daß dies geschehe!«
Da sank sie langsam vor ihm in die Kniee, schlang die Hände um seinen Leib und sagte:
»Ich liebe Sie! Ich liebe Sie namenlos und unaussprechlich! Ich habe einst eine Jugendliebe gehabt, heiß, innig, aber verborgen. Das Herz Dessen, für den ich lebte und von dem ich träumte, gehörte einer Anderen. Er sah mich nicht; er beachtete mich nicht. Meine Liebe war eine verschwiegene und unglückliche. Jetzt ist es mir, als sei jene Liebe vom Tode erstanden und tausend, tausend Mal mächtiger und gewaltiger geworden! Ich habe ihr widerstehen wollen, aber ich bin zu schwach dazu. Ich fühle mich Ihnen gegenüber als ein ohnmächtiges Weib, welches kein größeres Glück auf Erden kennen und haben möchte, als Ihre Dienerin, Ihre Sclavin zu sein.«
»Und dabei sind Sie die Sclavin eines Anderen, die Sclavin Dessen, dessen Weib Sie sich nennen!«
»Ja, Sie haben Recht. Ich fühle mich als Sclavin, als armselige Sclavin der Verhältnisse, welche mir früher so glänzend erschienen. Wären Sie ein armer Mann, so würde ich Sie auffordern, mit mir fortzugehen, zu fliehen, weit
Weitere Kostenlose Bücher