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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Herzen. Sie ließ es geschehen; doch dauerte es eine geraume Zeit, ehe er den Schlag desselben deutlich fühlte.
    »Haben Sie es?« fragte sie.
    »Ja, endlich!«
    »Was werden Sie damit thun?«
    »Der Schlag ist heiß, innig und verheißungsvoll. Ich möchte es am Allerliebsten behalten!«
    »Auf wie lange, Durchlaucht?«
    »Für immer, natürlich, liebe Ella!«
    Sie fuhr rasch mit ihrem Blicke zu ihm empor.
    »Ella? Sie kennen meinen Namen?«
    »Ist das ein großes Wunder? Ich habe nach demselben gefragt, bis ich ihn erfahren habe.«
    »Nach dem Namen einer so gleichgiltigen Person?«
    »Nach dem Namen meiner Patientin!«
    »Die Sie wohl nicht so leicht heilen werden.«
    »Pah! Warum?«
    »Weil es Ihnen sehr schwer fallen wird, die Krankheit zu erkennen.«
    »O, ich kenne sie bereits, auch ihren Sitz, ihre Ursachen und das Medicament zu Ihrer Heilung.«
    »Und das Alles haben Ihnen die drei Pulse gesagt?«
    »Ja. Ueberzeugen Sie sich.«
    »Gut! Antworten Sie! Ich muß wissen, an welcher Krankheit ich im Begriffe stehe, zu Grunde zu gehen. Also zunächst: Der Name der Krankheit, lieber Doctor?«
    »Sehnsucht.«
    »Hm! Der Sitz derselben?«
    »Im Herzen.«
    »Die Ursachen?«
    »Ihrer sind zwei, nämlich zwei ganz entgegengesetzte.«
    »Darf man sie erfahren?«
    »Gewiß. Siedendes Temperament und eingefrorenes Eheglück.«
    Sie erröthete doch. Er hatte sie durchschaut. Aber daraus machte sie sich nichts. Sie fragte weiter:
    »Und das Medicament?«
    »Vorher ist es mir nöthig, zu hören, ob ich in meiner Diagnose irre gegangen bin oder nicht. Ich bitte um aufrichtige Auskunft!«
    »Ist das nicht ein Wenig zu viel verlangt, lieber Doctor?«
    »Nein. Der Arzt hat nicht nur das Recht sondern sogar die Pflicht, Wahrheit zu fordern. Also, meine schöne Kranke, wie steht es?«
    »Sie haben richtig gerathen.«
    Das war mehr als aufrichtig. Das Blut stieg ihr dabei aber auch hochroth in das Gesicht, so daß sie den Kopf neigte, um es nicht so sehr bemerken zu lassen. Aber bereits nach einem Weilchen wiederholte sie: »Also, das Medicament?«
    Er deutete mit dem Finger auf sich und sagte:
    »Hier sitzt es.«
    »Sie? Ah! Arzt und Medicin zugleich?«
    »Freilich!«
    »Aber in welchen Dosen könnte man Sie genießen?«
    »Das werde ich verschreiben, und Sie haben zu gehorchen! Zunächst werde ich mich Ihnen als Doppelkataplasma verordnen.«
    Sie stieß ein heiteres Lachen aus.
    »Das heißt als Doppelpflaster? Wie wollen wir das arrangiren?«
    »Eins auf das Herz und eins auf den Mund. So!«
    Er legte ihr die rechte Hand wieder auf das Herz, dessen Schlag er bei der Fülle ihrer Büste kaum zu fühlen vermochte, schlang den linken Arm um sie, so daß er sie an sich zu ziehen vermochte, und drückte dann seinen Mund auf ihre Lippen, welche sie ihm fest und ohne Widerstreben hinreichte.
    So blieben sie eine ganze Weile sitzen, in einem innigen Kusse verschlungen, dann entzog sie sich seiner Umarmung, sah ihm lange forschend in die Augen und sagte dann: »Durchlaucht, haben Sie wohl eine Ahnung meines Characters?«
    »Ja, gnädige Frau,« antwortete er sofort.
    »Nun, wie bin ich? Ich zweifle sehr, ob Sie mich kennen. Wir sehen uns heute erst zum dritten Male. Sie müßten ein ausgezeichneter Psycholog sein, wenn Sie mich richtig beurtheilten!«
    »So werde ich Ihnen sogleich Gelegenheit geben, meinen psychologischen Scharfblick kennen zu lernen: Sie haben außerordentlich werthvolle seelische und körperliche Anlagen für die Liebe.«
    »Das gebe ich zu.«
    »Aber die Liebe ist bei Ihnen ein Selbstzweck. Sie haben die Gabe glücklich zu sein und auch glücklich zu machen; aber Sie gebrauchen diese Gabe nur dann, wenn Sie wollen.«
    »Auch das ist wahr.«
    »Und wenn Sie Liebe geben und Liebe finden wollen, so fühlen Sie sich als Feldherr.«
    »Was soll das heißen?«
    »Sie kommandiren. Sie warten nicht wie andere Damen, bis der Erwählte kommt, sonder Sie gehen zum Angriffe über, mit fliegenden Fahnen und siegenden Waffen.«
    »Halten Sie das für falsch?«
    »Nein, sondern im Gegentheile für sehr richtig. Die Liebe giebt gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Warum soll das Weib warten, wenn der Mann vielleicht zu zaghaft ist?«
    »Ganz recht! Wir verstehen uns, mein lieber Fürst. Sie haben mich wirklich bis tief hinab durchschaut. Wissen Sie auch noch das Weitere?«
    »Gewiß!«
    »Nun?«
    »Sie wollen mir sagen, daß Sie mich lieb haben!«
    Sie sah ihm ganz begeistert entgegen. Sie hatte noch Keinen gefunden, der in dieser

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