Der verlorne Sohn
weg, wo uns Niemand kennt, und dann sollte mein ganzes Leben, all mein Denken und Wollen, Ihnen gehören, und Sie würden so glücklich sein, wie ein Mann durch die aufopferndste Liebe seines Weibes nur immer und jemals werden kann!«
Jetzt gab es keine Spur von Berechnung mehr bei ihr. Sie war von einer verzehrenden, flammenden Leidenschaft erfaßt worden, gegen die sie keinen Widerstand zu finden vermochte. Er beugte sich zu ihr nieder, legte ihr die Hand unter das Kinn, hob ihren Kopf zu sich empor und sagte:»Beichten Sie mir, Ella!«
»Was?« flüsterte sie.
»Von jener Jugendliebe. Wer war Der, den Sie liebten?«
»Ein Försterssohn, bei der Polizei angestellt.«
»Wie hieß er?«
»Gustav Brandt.«
»Wo ist er jetzt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie werden es wissen. Sie müssen es wissen, denn so eine Liebe, wie die ist, welche Sie gefühlt haben, läßt ihren Gegenstand niemals aus den Augen.«
»Und dennoch würde ich ihn nicht zu finden wissen, wenn ich ihn zu suchen hätte. Er ging in alle Welt. Er war ein Flüchtling und mußte verschwinden.«
»Verschwinden? Fliehen? Warum?«
»Er war als Mörder verurtheilt worden; es gelang ihm aber, grad an dem Tage zu entkommen, an welchem er eine lebenslängliche Gefangenschaft antreten sollte.«
»War er schuldig oder unschuldig?«
Seine Augen flammten mit unwiderstehlicher Gewalt auf sie nieder. So ein gewaltiger Blick war ihren Augen noch nie begegnet. Sie wollte antworten; aber sie konnte, unter dem Einflusse dieses Blickes stehend, nicht lügen, wollte und durfte jedoch auch nicht die Wahrheit sagen.
»Antworten Sie!« bat er.
»Ich weiß es nicht,« sagte sie, die Augen niederschlagend.
Da hob er ihr Gesicht wieder zu sich empor und sprach:
»Ich habe Ihnen bereits bewiesen, daß ich Menschenkenner bin. Ich lese in ihnen, daß jener Flüchtling schuldlos war, daß Sie mit Theil an seinem Unglück hatten, und daß – ah, Ihr damaliger Verbündeter Derjenige ist, dem Sie jetzt als Weib gehören. Ich will nicht in Sie dringen; ich habe kein Recht dazu; aber soll Derjenige, welcher Sie dazu brachte, einen Schuldlosen in Schande und Elend zu stürzen, so glücklich sein, ein Weib von Ihrer Schönheit, Ihrem Geiste und Ihrem Temperamente zu besitzen?«
»Durchlaucht, ich bin bereit, ihn zu verlassen!«
Sie zitterte am ganzen Körper vor seelischer Aufregung; ihr Busen wogte auf und nieder, und ihr Athem strömte hörbar zwischen ihren Lippen hervor. Er erkannte, daß er es wirklich in der Hand habe, sie zu seiner Dienerin, seiner Sclavin zu machen. Es wallte in ihm auf wie eine tiefe, gewaltige Genugthuung. Er hätte laut aufjubeln mögen; aber er blieb äußerlich ruhig und fragte im Tone des Glückes: »Ihn verlassen? Ist das wahr?«
»Ja; gewiß und wahrhaftig ist es wahr!«
»Um wessen willen wollen Sie ihn verlassen?«
»Um Ihretwillen!«
»Sie würden dennoch mit tausend Banden an ihn gekettet sein!«
»Durch kein Band, keinen Faden, und sei er auch nur so dünn wie der Faden, welchen eine Spinne zieht!«
»Sie Beide sind durch Ihr Leben, Ihre Thaten, Ihr Zusammenwirken mit einander verbunden und bleiben es auch!«
»Nein, nein! Ich reiße alle Bande entzwei, alle, alle, alle!«
Sie hob die Hand wie zum Schwure empor.
»Und was erhoffen Sie als Lohn für solch eine Entsagung, für solch ein Opfer?«
»Ihre Liebe, Durchlaucht, weiter nichts als Ihre Liebe!«
Da bog er sich zu der Knieenden nieder, schlang die Arme um sie und zog sie zu sich empor, so daß sie Brust an Brust und Lippe an Lippe lagen. Sie fühlte sich fast wahnsinnig vor Glück; sie küßte, küßte und küßte ihn wieder und immer wieder; sie liebkoste ihn; sie streichelte ihm die Wangen, als ob sie ein heißgeliebtes Kind vor sich habe, dem sie ihre ganze Seele hingeben müsse. Dabei flüsterte und fragte sie immer und immer wieder:»Lieben Sie mich? Lieben Sie mich? Ist es wahr, daß Sie mich lieben können?«
»Ja,« antwortete er, sie an sich pressend. »Ich liebe Sie! Jetzt freilich nur wie ein herrliches, entzückendes Bild, welches die Sinne begeistert. Aber dann, wenn ich erst die Tiefen Ihrer Seele erforscht und erkannt habe, dann wird meine Liebe so sein, wie sie zu dem unaussprechlichen Glücke, welches ich mir ersehne, erforderlich ist.«
»Forschen Sie in mir; forschen Sie! Sie werden finden, daß in meinem Herzen nichts wohnt und lebt, als nur Sie, Sie, Sie allein!«
Sie schmiegte und drängte sich in heißer Liebesgluth an ihn, als ob es ihr
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