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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Pförtchen gar nicht beachtend, auf das vordere Entrée zu und streckte bereits die Hand nach dem Glockenzuge aus, um den Portier zu rufen, als plötzlich ein alter Herr vor ihm stand – der Fürst, den er aber, ganz natürlich, nicht kannte.
    »Der Herr Baron von Helfenstein?« fragte er.
    »Ja. Was giebt es?«
    »Darf ich vielleicht um eine kleine Audienz ersuchen?«
    »Wie kommen Sie mir vor! Eine Audienz? Jetzt?«
    »Allerdings!«
    »Was wollen Sie?«
    »Ich werde mir gestatten, es Ihnen in Ihrem Zimmer zu sagen.«
    »Ah! Also in’s Zimmer wollen Sie mit?«
    »Meinen Sie, daß man Audienzen auf der Straße ertheilt?«
    »Was ist das für ein Ton? Sie wissen doch, mit wem Sie sprechen?«
    »Mit dem Herrn Franz von Helfenstein.«
    »Wer sind denn Sie?«
    »Hier meine Legitimation.«
    Der Baron erblickte die bekannte Medaille. Es fuhr ihm wie ein Stich durch alle Glieder. Was war das? Was wollte die Polizei bei ihm? Jetzt, zu dieser Tageszeit? Er sammelte sich jedoch schnell und sagte: »Einem Polizeibeamten giebt man nur im Nothfalle einen abschlägigen Bescheid; aber konnten Sie denn keine andere Zeit für den Vortrag Ihrer Wünsche finden?«
    »Leider nein!«
    »So kommen Sie!«
    Er schellte.
    »Sie gestatten vielleicht, daß diese beiden Herren auch mit Zutritt nehmen, Herr Baron!«
    Helfenstein drehte sich rasch um. Hinter ihm standen, ohne daß er es bemerkt hatte, Adolf und Anton. Das vermehrte die Verlegenheit des Barons noch mehr. Drei Personen! Das konnte doch wohl nichts Unwichtiges und Gewöhnliches sein!
    »Sind diese Herren auch Polizisten?« fragte er.
    »Ja.«
    »Ihre Medaillen!«
    »Die meinige genügt. Sie legitimirt mich, und ich hinwiederum legitimire meine beiden Collegen. Hoffentlich genügt Ihnen das!«
    »Kommen Sie!«
    Eben hatte der Portier geöffnet und Licht angebrannt. Er wunderte sich nicht wenig, zu dieser Stunde drei Fremde in Begleitung seines Herrn zu sehen. Er leuchtete die Vier nach oben und brannte im Zimmer des Barons die Kerzen an. Dann entfernte er sich.
    Der Baron versuchte, möglichst unbefangen zu erscheinen. Er brannte sich eine Cigarre an, warf sich auf das Fauteuil und fragte: »Ich hoffe, daß ich nun den Grund Ihrer Aufmerksamkeit vernehmen werde, meine Herren?«
    »Augenblicklich noch nicht, Herr Baron. Der Gegenstand, den wir Ihnen vorzutragen haben, erfordert unbedingt die Anwesenheit auch Ihrer Frau Gemahlin!«
    »Meine Frau? Die Baronin soll kommen?« fragte er, mehr erstaunt, als erzürnrt.
    »Wir bitten darum!«
    »Ah! Das ist stark! Früh fünf Uhr eine Audienz! Und dazu soll die Baronin von Helfenstein geweckt werden!«
    »Wir müssen leider auf unserem Wunsche bestehen!«
    »Bestehen? Ah, ich dächte, hier könnte nur von einer Bitte die Rede sein, meine Herren!«
    »Wir sind nicht Supplikanten, sondern Beamte!«
    »Alle Teufel! Das klingt ja wie eine Drohung!«
    »Hören Sie wirklich eine solche heraus? Ich will Ihnen nicht widersprechen.«
    Der Baron stand auf. Er war leichenblaß geworden. Er trat auf den Fürsten zu und sagte:
    »Herr, wer sind Sie, daß Sie es wagen, in einem solchen Tone zu mir zu sprechen?«
    »Ich habe mich als Beamter der Polizei legitimirt!«
    »Aber welchen Grad begleiten Sie? Uebrigens kann ein solches Legitimationszeichen auch in die Hände eines Spitzbuben gelangen. Ich verlange, daß Sie sich genügender legitimiren.«
    Der Fürst hatte einen Todtfeind vor sich, den Mörder seines Glückes und seiner Jugendhoffnungen. Dennoch ließ er sich nicht vom Zorne hinreißen, sondern er antwortete ruhig:»Ich ersuche Sie um Ihretwillen, keine andere Legitimation zu verlangen. Ich gestehe Ihnen offen, daß mein Besuch bei Ihnen jetzt noch ein privater ist. Bestehen Sie aber auf Ihrem Verlangen, nun, dann werden Sie die Folgen tragen!«
    Der Baron wußte nicht, was er sagen sollte. Sein Gewissen klagte ihn zwar an; aber sein Stolz bäumte sich gegen das Auftreten dieser drei Männer auf.
    »Sie bestehen also darauf, meine Frau zu sprechen?« fragte er.
    »Ja.«
    »Gut! Warten Sie! Ich werde sie selbst wecken. Aber ich sage Ihnen zugleich, daß ich mich nur Ihrem amtlichen Character beuge und daß ich mir noch im Laufe des heutigen Tages Satisfaction verschaffen werde. Ich würde Sie unbedingt fortweisen, wenn dies nicht als Widerstand gegen die Staatsgewalt strafbare wäre.«
    »Wir sind Ihnen zu jeder Satisfaction bereit, bitten Sie aber nochmals, uns die Gegenwart der Frau Baronin zu ermöglichen, da wir auf dieselbe nicht verzichten

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