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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zufällig auf dem Tannensteine. Nach mir ist sie dort von Brandt umarmt und geküßt worden. Sie scheinen einander zu lieben. Sie war aber von Seiten des Vaters schon längst dem Hauptmanne versprochen. Dieser überraschte die Beiden in einem nichts weniger als gleichgiltigen
tête-à-tête
und stellte Brandt natürlich zur Rede, erhielt aber eine Antwort, welche ihn veranlaßte, an eine Ausgleichung mittelst Duelles zu denken. Er erzählte mir den Vorgang und bat mich, ihm zu secundiren. Trotzdem das Liebespaar überrascht worden war, trat es in Gemeinschaft den Weg nach dem Schlosse an, stieß aber unterwegs auf meinen Cousin und den Hauptmann. Der Vater des Mädchens stellte Brandt nun ebenfalls zur Rede, erhielt aber nichts als Drohungen zur Antwort. Dies, meine Herren, sind die Gründe, welche mich heute früh veranlaßten, dem Hauptmanne zu folgen. Ich fürchtete einen übereilten Ausbruch der Feindseligkeit zwischen ihm und Brandt.«
    Er hatte in dieser Darstellung seine Cousine Alma keineswegs in ein vortheilhaftes Licht gestellt; dies war mit Fleiß und Ueberlegung geschehen. Sie hatte ihm gestern auf so malitiöse Weise einen Korb ertheilt, und so war er entschlossen, sie nicht im Mindesten zu schonen. Der Vorsitzende meinte ernst:
    »Ueber das, was Sie da erzählen, werden wir die Dame selbst auch zu vernehmen haben. Fahren Sie fort!«
    »Ich wollte nicht zudringlich erscheinen und nur im Falle der Nothwendigkeit meine Gegenwart bemerken lassen. Daher verfolgte ich die gleiche Richtung wie der Hauptmann, aber etwas abseits von dem Wege.«
    »Nach welcher Seite?«
    »Nach links.«
    Das war nicht wahr, denn er war den Beiden auf der rechten Seite des Wegsaumes gefolgt.
    »Und von welcher Seite fielen dann die Schüsse?«
    »Von der rechten.«
    »Hm! Erzählen Sie weiter!«
    »Ich hörte nach einiger Zeit einen mehr als lebhaften Wortwechsel. Ich erkannte sogleich die Stimmen der beiden Sprecher. Es waren der Hauptmann und Brandt. Eben als ich, hinzueilend, von der linken Seite her aus den Büschen treten wollte, fielen die beiden Schüsse. Brandt hatte sein Gewehr, welches wohl in der Nähe lag, geholt und dem Hauptmanne zwei Kugeln in die Brust gejagt.«
    »Sahen Sie es, als Brandt schoß?«
    »Ja, ganz genau.«
    »In welcher Entfernung standen Sie von ihm?«
    »Vielleicht zehn Schritte.«
    »Warum versuchten Sie nicht, die That zu verhindern?«
    »Das war eine Unmöglichkeit, da sie mit wirklicher Gedankenschnelligkeit geschah.«
    »Was thaten Sie dann?«
    »Ich wollte mich auf den Mörder stürzen; aber ich konnte vor Entsetzen keinen Fuß bewegen. Die Kehle war mir wie zugeschnürt, so daß ich auch nicht zu rufen vermochte. In diesem Augenblicke kam Cousine Alma dazu.«
    »Wurden Sie von ihr bemerkt.«
    »Nein, denn ich stand nicht auf dem Wege, sondern zwischen den Bäumen.«
    »Was mag sie dort gewollt haben?«
    »Ich vermuthe, daß sie ein
tête-à-tête
mit Brandt gehabt hat und abermals vom Hauptmanne überrascht wurde. Die beiden Herren sind arg aneinander gerathen; sie hat fliehen wollen, ist aber, als sie die Schüsse hörte, zurückgekehrt, um sich zu überzeugen, wem sie gegolten haben.«
    Während der Protokollant jedes Wort notirte, hatte der Vorsitzende mit größter Aufmerksamkeit zugehört. Er sagte sehr ernst:
    »Herr Baron, was Sie jetzt erzählt haben, ist von solcher Schwere, daß es den Angeklagten zermalmen kann, ja zermalmen muß. Ich will dennoch meine Eingangs gemachte Mahnung nicht wiederholen, sondern Sie nur fragen, was Sie weiter sahen.«
    »Die Wiederholung würde noch unnöthiger sein, als die Mahnung an sich selbst schon war! Also ich sah, daß Alma kam. Sie schien sehr erschrocken zu sein, nannte ihn einen Mörder und fiel in Ohnmacht.«
    »Und Sie?«
    »Ich eilte nach der Schlucht, um Beamte herbeizuholen.«
    »Warum ergriffen Sie den Thäter nicht sofort?«
    »Soll ich mich etwa mit einem Mörder herumprügeln?«
    »Er hat also gar nicht bemerkt, daß Sie Zeuge der That gewesen sind?«
    »Nein.«
    »Er behauptet, wie man mir sagte, nicht der Schütze gewesen zu sein. Wie nun, wenn er vermuthet, daß Sie sich nicht auf der linken, sondern auf der rechten Seite des Weges befunden haben.«
    »Ah, pah! Wozu das?«
    »Und daß Sie es waren, welcher schoß!«
    Der Baron hatte so etwas Ähnliches erwartet und verstand es daher, seine Fassung vollständig zu bewahren.
    »Das wäre ja Wahnsinn!« antwortete er achselzuckend.
    »Auch der Wahnsinnige hält seine Einbildungen für

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