Der verlorne Sohn
Was fällt Ihnen ein!«
Er drehte sich um. Fast wäre ihm das Glas aus der Hand gefallen, denn dort an der Thür stand der blonde Graue.
»Donnerwetter!« fragte er. »Ich denke, Sie sind fort!«
»Ja, ich war fort, aber ich bin wieder hier, wie Sie sehen!«
»Ich war ja gleich draußen und hätte Sie doch also kommen sehen müssen!«
»Sind Sie denn kurzsichtig?«
»Ganz und gar nicht!«
»Wer weiß, wo Sie da hingeguckt haben! Aber, sagen Sie, war der Schwarze mit der blauen Brille wieder da?«
»Ja, soeben.«
»Sakkerment! Was sagte er?«
»Sie hätten sich den Teufel um ihn zu kümmern!«
»Dieser Grobian! Den will ich Mores lehren! Wo ist er hin?«
»Nach rechts!«
»So muß ich ihm gleich nach!«
Er ging eilig wieder zur Thür hinaus.
»Wunderbar!« sagte der Wirth zu sich. »Das begreife, wer da will! Aber dieses Mal sehe ich doch hinterdrein!«
Auch er eilte hinaus. Als er das Thor erreichte, war auf der Straße, gerade wie vorher, kein Mensch zu sehen.
»Muß der Kerl gerannt sein! Oder bin ich so plötzlich kurzsichtig geworden, wie er sagte?«
Er kehrte in die Stube zurück und sah den Grog noch stehen.
»Er verdirbt; er wird kalt. Aber ich muß gewärtig sein, dieser Unbekannte kommt noch einmal retour. Ich werde –«
Er hielt mitten in der Rede inne, denn er sah, daß die Thür sich abermals öffnete. Das Gesicht mit der blauen Brille und dem schwarzen Barte blickte herein und fragte: »War er da?«
»Wer denn?« fragte der Wirth, vor Ueberraschung ganz perplex.
»Nun, der Blonde mit dem grauen Anzuge.«
»Ja; er war da. Er ist vor einer halben Minute wieder fort.«
»Was sagte er denn?«
»Er will Ihnen Mores lehren!«
»Wart! Diesem Burschen werde ich zeigen, was das Wort Mores zu bedeuten hat! Adieu!«
Der Kopf fuhr zurück, und der Wirth blickte ganz betreten nach der Thür, welche wieder zugemacht wurde.
»Donnerwetter, das begreife, wer da will!« fluchte er. »Sie müssen sich doch begegnet sein! Aber diesesmal komme ich gleich hinterher, und wenn ich halb blind sein sollte!«
Er wollte fort; aber da wurde die Thür abermals geöffnet und der blonde Kopf mit der grauen Mütze erschien.
»War er da?« ertönte die hastige Frage.
»Der Schwarze?«
»Ja.«
»Sie müssen doch draußen im Flur mit ihm zusammengerannt sein!«
»I, Gott bewahre! Was sagte er denn?«
»Er wollte Ihnen zeigen, was das Wort Mores zu bedeuten hat, meinte er.«
»Wart, Hallunke, Dich kriege ich doch!«
Der Kopf verschwand mit größter Eile.
»Das ist stark, nein, das ist noch mehr als stark!« rief der Wirth. »So Etwas ist mir in meinem ganzen Leben – Himmelbataillon! Was ist denn wieder?«
Der Schwarze guckte nämlich wieder herein.
»Ist er noch da?« fragte er.
»Der Blonde? Nein!« antwortete der Wirth, indem er ganz entsetzt die Augen aufriß.
»Ich sah ihn doch hereingehen! Bitte, halten Sie ihn fest, wenn er wiederkommen sollte!«
Damit verschwand er wieder.
»Bin ich denn verrückt?« fragte sich der Wirth. »Das ist ja gerade, als ob der Teufel sein Spiel – – – Alle guten Geister! Sie auch wieder?«
Der blonde Kopf fuhr nämlich durch die sich wieder öffnende Thür hinein und fragte im Tone der höchsten Eilfertigkeit: »Haben Sie ihn gesehen? Er muß noch da sein!«
»Nein! Gerade in diesem Augenblicke ist er –«
Er hielt inne, denn der Kopf hatte sich schnell wieder zurückgezogen. Der Wirth fuhr sich mit den Händen in die Haare und stöhnte: »Bin ich denn verrückt? Ach, ich sollte ihn ja nicht fortlassen! Wart, den kriege ich noch!«
Er eilte hinaus. Als er das Thor erreichte, trat ihm von der Straße her – der Schwarze entgegen.
»Nun, haben Sie ihn festgehalten?« fragte er.
Da ergriff der Wirth ihn am Arme und rief:
»Herr, lassen Sie sich anfassen, damit ich mich überzeuge, ob Sie Fleisch und Blut sind! Ja, Gott sei Dank! Die Knochen fühle ich, und die Menschenhaut sehe ich!«
»Ich glaube, Sie sind nicht recht disponirt!«
»Der Kukuk mag da disponirt sein, wenn Einer immer nach dem Andern fragt, ohne daß Sie sich sehen, obgleich sie eigentlich unter der Thür mit den Köpfen zusammen stoßen müßten!«
»Nun, so muß ich ganz sicher gehen. Ich werde hier bleiben, bis er wiederkommt.«
»Ja, thun Sie mir den Gefallen! Ich weiß sonst gar nicht, ob ich einen Kopf habe oder nicht. Kommen Sie herein!«
»Schön! Geben Sie mir noch ein Bier!«
Er trat mit in die Gaststube und setzte sich nieder. Der Wirth trat an das Faß, füllte das
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