Der verlorne Sohn
Etwas nicht wieder, sonst müßte ich mich von Ihnen zurückziehen! Also ich sagte Ihnen, daß ich auf den Schacht zu Laube gehen wolle – –«
»Ja. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nur ein paar Worte. Er ging dann, um denjenigen zu holen, bei welchem ich mein Anliegen vorbringen konnte. Wissen Sie nun, wer kam?«
»Herr, ich bin begierig, es zu erfahren!«
»Der fromme Seidelmann.«
»Der from – – –«
Das Wort blieb Eduard im Munde stecken, so überrascht war er.
»Ja, der Vorsteher der Gesellschaft der Brüder und Schwestern der Seligkeit; dieser kam, mein Lieber.«
»Haben Sie sich nicht geirrt? Haben Sie ihn wirklich erkannt?«
»Ich habe ihn erkannt, obgleich er sich verkleidet hatte und eine Maske trug. Aber sein glattes Kinn und sein weißes Halstuch verriethen ihn.«
»Ja, sein Kinn ist gar nicht zu verkennen; es ist ein Judaskinn.«
»Sapperlot! Sie thun ja, als ob sie Psycho-und Phrenologe seien!«
»Es kam mir so auf die Zunge.«
»Ich machte ihm weiß, daß ich ein bedeutendes Geschäft in Vorschlag habe, und da bemerkte er mir, daß er nichts entscheiden könne, da er der eigentliche Anführer nicht sei?«
»Nicht? Das läßt sich allerdings denken, da er nicht beständig hier wohnt. Wer aber mag der Anführer sein?«
»Jedenfalls einer seiner Verwandten. Er sagte, der Anführer habe heute Abend keine Zeit.«
»Sapperlot! Sollte Fritz gemeint sein, Fritz Seidelmann?«
»Das ist möglich; er oder sein Vater. Haben Sie vielleicht Seidelmann
senior
bei der Maskerade bemerkt?«
»Nein. Der ist jedenfalls zu Hause gewesen.«
»Also wäre der
Junior
gemeint. Vielleicht auch lößen die Drei einander ab. Morgen werde ich mir möglichste Gewißheit verschaffen, da ich des Abends wieder nach dem Schachte gehe. Das war es, was ich Ihnen mittheilen wollte. Apropos! Kennen Sie den Weg von hier nach Schloß Hirschenau?«
»Schloß Hirschenau bei Helfenstein?«
»Ja.«
»Sehr gut.«
»Sind Sie dort bekannt?«
»Nein.«
»Es ist möglich, daß Sie mich nächster Tage dorthin zu begleiten haben. Giebt es sonst noch etwas?«
»Nein, Herr Arndt.«
»Dann, gute Nacht!«
Er ging.
Als vorhin Eduard seine Geliebte verlassen hatte, war diese sogleich die Treppe empor nach ihrem Kämmerchen gegangen. Erst als ihre Schritte verklungen waren, hatte Seidelmann sein Versteck verlassen und dann auch das Haus durch dieselbe Hinterthür.
»Welch’ ein glücklicher Gedanke!« dachte er. »Wäre ich den Beiden nicht gefolgt, um sie zu belauschen, so hätte ich nichts erfahren. Ah! Köstlich! Aber nun sollt Ihr es mir büßen!«
Schon wollte er aus dem Schatten des Hauses hervortreten, als es ihm war, als habe er ein Stimmengeflüster gehört. Er duckte sich nieder, kroch mehr nach rechts und bemerkte Arndt und Eduard, welche im Gärtchen des Letzteren standen.
»Wer ist das?« fragte er sich. »Der Hauser und – – ah, wie gut, daß der Schnee leuchtet! Das ist der fremde Hallunke, der sich in der Schänke an mir vergriff. Sollte es vielleicht – hm, Donnerwetter! Sollte es der Diener des Fürsten des Elendes sein, von dem dieser Webergeselle erzählte? Ich werde ihn beobachten. Ich schleiche ihm nach. Ich muß wissen, wohin er geht!«
Er beharrte in seiner niedergedukten Stellung, bis er bemerkte, daß der Fremde sich entfernte. Eduard Hauser trat in seine kleine Wohnung, in deren Thür er verschwand.
Jetzt erhob sich Seidelmann wieder und schlich sich weiter. Er sah, daß der Fremde den Weg nach Osten einschlug, welcher sich dann theilte, geradeaus nach einem Nachbardorfe und rechts nach dem Forsthause. Er folgte ihm, bemerkte aber plötzlich, daß der Mann verschwunden war. Wohin? Seidelmann blieb stehen und lauschte.
Arndt war freilich ein Mann, dem sein Verfolger nicht gewachsen war. Er hatte ein außerordentlich scharfes Gehör. Kurz nachdem er Eduard verlassen hatte, war es ihm, als ob er leise Schritte in einiger Entfernung hinter sich vernehme. Er blieb nicht stehen; er schritt langsam weiter, blickte sich aber um.
Da erkannte er eine männliche Gestalt, welche ihm folgte. Er ging noch eine Strecke und drehte sich abermals um; die Gestalt war noch immer hinter ihm, jetzt aber ein Wenig näher.
»Das kann Zufall sein!« dachte er. »Ich werde es untersuchen!«
Er zog sein weißes Bettuch hervor, nahm es auseinander, warf es über und bückte sich nieder, so daß er von dem weißen Schnee nicht zu unterscheiden war. Er bemerkte, daß die Gestalt stehen blieb und in die Nacht
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