Der verlorne Sohn
hinein lauschte.
»Ah, es ist wirklich ein Verfolger, Jemand, der mir nachschleicht. Warte, Bursche, ich werde Dir einen Denkzettel geben und dabei zugleich sehen, wer Du bist!«
Er raffte mit den Händen einen möglichst großen Schneeballen zusammen und wartete dann.
Als Seidelmann keine Schritte mehr hörte, nahm er an, daß der Mann, dem er folgte, einen rascheren Lauf angenommen habe. Daher schritt auch er jetzt in verdoppelter Eile vorwärts. Dabei hielt er das Auge suchend in die Ferne, in das unbestimmte Schneeduster gerichtet, und so entging ihm der verhängnißvolle Punkt, dem er sich näherte.
Da plötzlich flatterte etwas Weißes hart vor ihm auf; er glaubte eine schwarze Gestalt, wie vom Himmel gefallen, vor sich zu sehen, und dann erhielt er einen Schlag in das Gesicht, daß ihm für einige Augenblicke Hören und Sehen verging.
Arndt hatte sich nämlich blitzschnell unter seinem Tuche vom Boden erhoben und ihn mit aller Gewalt den Schneeballen in das Gesicht geschlagen. Dann raffte er sein Tuch auf und sprang davon, dem Städtchen wieder zu.
Unweit der ersten Häuser hielt er an und blickte zurück.
»Der hat genug! Der geht heute nicht weiter!« lachte er vor sich hin »Der Seidelmann! Ah, ich will ihm lehren, mir nachzuschleichen, um zu sehen wo ich wohne! Dem brummen alle Sinne jetzt so sehr, daß er gar nicht gehört hat, wohin ich gelaufen bin. Sehen hat er nicht sogleich gekonnt. Jedenfalls kehrt er zurück. Ich werde nun den Spieß umdrehen und ihn beobachten.«
Er trat hinter die Ecke des ersten Hauses und wartete. Wirklich dauerte es nicht lange, so kam Seidelmann daher und ging vorüber. Arndt nahm das weiße Tuch über und folgte ihm. Es war gar keine Gefahr dabei, denn es war so spät, daß sich Niemand mehr auf der Straße zeigte.
Da bemerkte er, daß Seidelmann bei Hauser’s Häuschen stehen blieb und sich dann hinter dasselbe schlich.
»Was wird er da wollen?« fragte er sich. »Das muß ich wissen!«
Er folgte ihm vorsichtig und gewahrte dann, daß er vor einem Laden der Wohnstube stand und zu horchen schien. Er stand wohl eine Viertelstunde still und unbeweglich: dann entfernte er sich. Auch jetzt hielt sich Arndt in immer gleicher Entfernung hinter ihm, bis Beide die Wohnung des Kaufmannes erreichten. Seidelmann zog einen Schlüssel hervor, öffnete und trat ein. Arndt blieb überlegend stehen.
»Soll ich umkehren oder nicht?« fragte er sich. »Da oben ist noch Licht. Man wartet also. Der junge Seidelmann bringt Neues mit nach Hause, und der alte, fromme Schuster wird ihm von dem Fremden am Schachte zu erzählen haben. Wer da lauschen könnte? Ich werde doch noch ein Wenig warten.«
Nach einer Weile bemerkte er, daß die Lichter von der vorderen Fronte des Hauses verschwanden; dann erleuchtete sich ein Fenster an der Gartenseite.
»Sollte nun hier die Conferenz stattfinden? Man muß sehen!«
Er stieg über den Zaun. Es gab keine Möglichkeit, bis zur Höhe des Fensters zu gelangen. Erst als er nach einiger Zeit sich nach dem Seitengebäude hinüberschlich, gewahrte er eine Leiter, deren er sich bedienen konnte. Er trug sie nach der hinteren Seite des Hauses, und lehnte sie neben dem erleuchteten Fenster an. Dann stieg er auf die Gefahr hin, bemerkt oder überrascht zu werden, hinan. Er durfte natürlich nicht seinen Kopf am Fenster zeigen. Er schielte nur so hinein, und da erblickte er denn die drei Seidelmänner, Vater, Sohn und Oheim. Die beiden Ersteren saßen am Tische, und der Letztere war soeben auf einen Stuhl gestiegen und stand im Begriffe, ein Bild von der Wand abzunehmen.
Als dies geschehen war, zeigte sich ein großes und tiefes, viereckiges Loch in der Mauer. Seidelmann, der Vater griff hinein und brachte einen Carton zum Vorschein, welchen er öffnete und damit zum Tische trat. Er nahm etwas Schwarzes heraus. Es schienen breite, kostbare Spitzen zu sein, von denen ein ziemlich langes Stück abgemessen und dann abgeschnitten wurde.
»Schön!« flüsterte Arndt, indem er leise und langsam wieder von der Leiter stieg. »Belauschen kann ich sie nicht. Wenn Einer von ihnen an das Fenster tritt, muß er mich sofort erblicken. Es ist zu gefährlich! Aber etwas habe ich doch profitirt: Ich kenne den Ort, an welchem diese Schmuggler ihre Spitzen versteckt haben. Es kommt jedenfalls der Augenblick, an dem ich diese Entdeckung verwerthen kann!«
Er trug dann die Leiter an ihren Ort zurück und entfernte sich. Er hätte nur noch kurze Zeit verweilen sollen!
Als
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