Grün wie ein Augustapfel
1
»Hast du Sorgen, Vicky?«
»Danke für die gütige Nachfrage«, antwortete Viktoria leicht gereizt. Gestern früh hatte Elfriede, ihr Hausmädchen, über Leibschmerzen geklagt, mittags hatte Viktoria den Arzt gerufen, eine Stunde später kam der Krankenwagen, und noch am gleichen Nachmittag hatte man Elfriede den Blinddarm entfernt. Viktoria kochte nicht nur gern, sondern sie kochte auch ausgezeichnet, aber sie haßte die Küchenarbeit, und die hatte sie nun vier Wochen lang vor sich, mit allen Begleiterscheinungen, rauhen Händen, splitternden Fingernägeln und Haaren, die nach Fett und nach Zwiebeln dufteten.
»Die Sache mit Elfriede ist schlimm. Aber ich dachte im Augenblick eigentlich nicht an Elfriede.«
»Woran sonst?«
Die Tür zwischen dem kleinen Damenzimmer und dem nicht allzu geräumigen Flur mit der Garderobenablage und dem hohen Ankleidespiegel stand offen. Manuela, die aus einem Dutzend Gürtel verschiedener Farbe und verschiedenen Materials den zu ihrem honiggelben Kleid am besten passenden auswählte, überblickte von ihrem Standort aus im Spiegel den Ausschnitt des Zimmers, in dem ihre Mutter an dem kleinen Schreibtisch aus Birkenholz saß, einem Damenschreibtisch, zu dem der graue Leitzordner, in dem sie gerade herumblätterte, in seiner Nüchternheit nicht recht paßte.
»Mach mir doch nichts vor, Vicky«, sagte Manuela burschikos, »dazu kennen wir uns zu lange.«
Viktorias Versuche, sich gegen den respektlosen Umgangston ihrer beiden Kinder zu wehren, waren kläglich gescheitert. Sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt, von ihnen wie eine ältere Schwester behandelt zu werden, und es war ein schwacher Trost dabei, daß sie wenigstens als ältere Schwester respektiert wurde. Manuela drehte sich vor dem Spiegel und blickte an sich herab: »Was sagst du zu dem schwarzen Gürtel? Paßt er zum Kleid? Oder soll ich auf verrückt machen und eine knallige Farbe nehmen?«
»Der schwarze Gürtel gehört zufällig mir.«
»Was kann ich dafür, daß alles, was einigermaßen flott aussieht, dir gehört?«
»Ich bin nur froh, daß dir meine Schuhe nicht passen!«
»Neununddreißig«, seufzte Manuela mit einem Blick auf ihre Füße und machte dabei ein Gesicht, als hätte Viktoria mit ihrer Bemerkung eine offene Wunde berührt, »manchmal habe ich Aschenbrödels Schwestern um ihren Mut beneidet, sich das, was zuviel war, einfach abzuhacken. Aber mit der Ölheizung hat man ja nicht einmal ein Beil im Keller.«
»Ich fürchte wahrhaftig, du wärest verrückt genug...«
»Ganz so verrückt, wie du meinst, bin ich ja nun doch nicht. Aber sag schon, was ist los? Sind wir pleite? Oder macht der schöne Ewald dir Kummer?«
»Wie kommst du auf Herrn Freytag?«
»Mein weibliches Ahnungsvermögen...«, murmelte Manuela. Es kam ein wenig undeutlich heraus, denn sie war gerade dabei, mit dem Stift von sehr hellem Zyklamenrot die Bögen ihrer Lippen nachzuziehen; dabei schielte sie halb zu ihrer Mutter hinüber und bemerkte, daß sie mit ihrer Vermutung nicht daneben zu liegen schien, denn Viktoria drehte sich überrascht um und warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Dein Ahnungsvermögen! Sei so gut und laß für eine Minute diese gräßlichen Sprüche! Wie kommst du auf Freytag?«
Manuela löste sich von ihrem Spiegelbild und stelzte auf sehr hochhackigen weißen Pumps ins Zimmer hinein, wackelte dabei wie ein Mannequin mit den Hüften und drehte kurz vor ihrer Mutter auf dem blaugrundigen Aubussonteppich die Andeutung eines Tanzschrittes.
»Der Rock ist verdammt eng«, stellte sie naserümpfend fest, »ich hätte mir an der Seite doch einen längeren Schlitz machen lassen sollen. Und wie ich auf den schönen Ewald komme? Ganz einfach: da Gregor dir keine Sorgen macht, und da ich dir erst recht keine Sorgen mache, können deine Sorgen nur geschäftlicher Art sein, und wenn es geschäftliche Sorgen sind, dann kommen sie vom schönen Ewald. Ist das logisch?«
»Wollt ihr euch nicht endlich die Albernheit abgewöhnen, Herrn Freytag den schönen Ewald zu nennen«, sagte Viktoria ärgerlich. »Ich finde es nicht sehr originell.«
Manuela hob die Schultern und horchte auf die Straße hin-
aus, wo in diesem Augenblick ein Auto hupte, aber es schien nicht das Signal zu sein, auf das sie wartete.
»Was mir Sorgen macht, weißt du ganz genau«, sagte Viktoria mit einer Handbewegung, als sei darüber oft genug gesprochen worden, »daß ihr beide — du und Gregor — leider nicht das geringste Interesse am
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