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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auf die gegenüberliegende Bank.
    »Warum dorthin?« fragte der Schmied.
    »Ich muß neben meinem Gefangenen sitzen, um ihn an der Hand zu haben. Er will entweichen, und wir werden sogleich an das Tunnel kommen. Wollen Sie mir nicht die Gefälligkeit erweisen, sich an seine andere Seite zu setzen?«
    Da stieß der Schmied ein lustiges Lachen aus und antwortete:
    »Haben Sie mich zum Gesellschafter gewählt, damit ich Ihnen helfen soll, den Gefangenen zu bewachen?«
    »Ja. Ich will es eingestehen.«
    »Hm! Aber haben Sie denn für den Fall der Noth gar keine Waffe bei sich?«
    »Nein.«
    »Welch eine Unvorsichtigkeit, dies zu unterlassen und es auch einzugestehen. Sehen Sie, da bin ich vorsichtiger!«
    Er griff in die Tasche und zog ein geladenes Doppelterzerol hervor.
    »Das ist gut! Nun kann er nichts anfangen!« meinte erfreut der Wachtmeister.
    »Ja, das ist wahr! So ein Terzerol ist nicht nur vortrefflich zum Schießen, sondern auch vortrefflich zum Schlagen. Sehen Sie, ungefähr so!«
    Er nahm die Läufe in die Hand und schlug den Kolben dem Beamten, ehe dieser es sich versah, in der Weise gegen die Schläfe, daß der Getroffene sofort besinnungslos in die Ecke des Sitzes sank.
    »So!« sagte er. »Dem ist einstweilen geholfen. Aber vor allen Dingen, bitte, mein Lieber, keinen Namen nennen. Das Erste, was zu thun ist, wir müssen Ihnen diese verdammten Handschellen abnehmen. Der Kerl wird den Schlüssel dazu wohl in der Tasche haben. Suchen wir!«
    Er durchsuchte die Taschen des Besinnungslosen und fand den Schlüssel, der sehr klein war, im Portemonnai. Er nahm den Ersteren und steckte das Letztere unversehrt wieder in die Tasche zurück.
    »Zunächst auch weg mit der Leine! So!« sagte er. »Und nun geben Sie Ihre Hände her!«
    Brandt folgte der Aufforderung und war in einigen Secunden wieder im freien Besitze seiner Arme und Hände. Er wollte sprechen, aber die innere Aufregung machte ihm jedes Wort zur Unmöglichkeit. Der Schmied aber befand sich ganz in seinem Elemente.
    »Kommen Sie!« lachte er. »Jetzt wollen wir diesem guten Manne die Handschellen anlegen, damit er auch einmal merkt, wie hübsch ein solcher Schmuck ist. Helfen Sie!«
    Brandt gehorchte ihm. Dann zog der Schmied das Taschentuch des Gefesselten hervor, steckte es ihm als Knebel in den Mund und band ihm dann auch die Ellenbogen nach hinten und die Kniee und die Fußknöchel mit der Leine zusammen.
    »So!« sagte er darauf. »Gerade zur rechten Zeit, denn da kommt das Tunnel!«
    Sie brausten in die Finsterniß hinein. Als sie wieder an das Tageslicht kamen, hatte Brandt endlich Worte gefunden.
    »Aber sagen Sie mir um Gottes willen,« fragte er. »Was veranlaßt Sie denn, sich meiner in dieser Weise anzunehmen?«
    »Still! Darüber jetzt kein Wort! In fünf Minuten wird der Zug anhalten, dann müssen wir ausspringen. Wir rennen gerade in den Wald hinein, Sie immer scharf hinter mir her. Aber nehmen Sie sich in Acht, daß sie nicht stürzen oder gar noch ergriffen werden!«
    »Warum sollte der Zug mitten im Walde halten?«
    »Ich habe dafür gesorgt. Ich bin nämlich nicht allein hier, sondern wir haben noch einen Kameraden, welcher den Zug anhalten wird. Ah, hören Sie! Jetzt!«
    Die Dampfpfeife stieß das bekannte, schrille, markerschütternde Warnungssignal aus. Sofort kreischten die Bremsen und Räder, und der Zug kam nach und nach zum Stehen. Der Maschinist hatte den Stein keinen Augenblick zu früh gesehen, denn er lag kaum drei Fuß von den Vorderrädern der Locomotive entfernt auf der Schiene.
    »Was ist’s? Was giebt’s? Was ist geschehen?« schrie, rief und fragte es aus den Fenstern, welche alle geöffnet wurden. Die Schaffner konnten es nicht verhindern, daß sich die Passagiere die Thüren selbst öffneten und aus den Wagen sprangen. Der Zug hatte sich in der Zeit von einer halben Minute entleert.
    Alles eilte nach vorn. Niemand gab Acht auf die beiden Männer, die zunächst ganz dieselbe Richtung einschlugen.
    Der Schmied hatte gedacht, daß sie eine förmliche Flucht zu ergreifen haben müßten, da aber der Wachtmeister noch immer nicht erwachte und Alles nach vorn drängte, so stieg er ganz gemächlich aus und sagte zu dem ihm ebenso langsam folgenden Brandt:
    »Ah, das giebt einen Hauptspaß. Kommen Sie! Wir werden verfolgen, anstatt verfolgt zu werden!«
    Er schritt rasch zur Locomotive. Dort angekommen, erblickte er den Stein, blickte suchend zwischen die Bäume und rief sodann mit seiner Stentorstimme, welche die

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