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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Fremde wieder ganz nahe gekommen war, trat er mehr instinctiv als infolge eines klaren Entschlusses einen Schritt auf ihn zu und sagte:
    »Entschuldigung, mein Herr! Wohin fahren Sie?«
    »Nach Blankenwerda,« lautete die rasche, kurz entschlossene Antwort.
    »Ah, das ist auch meine Richtung! Dritter Classe, wenn ich fragen darf?«
    »Dritter!«
    »Haben Sie Reisecollegen?«
    »Nein.«
    »Erlauben Sie, mich Ihnen vorzustellen! Ich bin Wachtmeister beim königlichen Landesgericht.«
    »Ich bin Viehhändler, mein Herr, habe aber auch als Wachtmeister gedient, nämlich bei den Kürassiren.«
    »So sind wir ja, so zu sagen, Collegen. Wollen wir uns nicht während dcr Fahrt einander anschließen?«
    »Warum nicht! Wer ist der andere Herr?«
    »O, der zählt jetzt nicht mit! Ich habe ihn in einer Strafproceßsache zu transportiren.«
    »Donnerwetter! Also ein Gefangener! Schöne Gesellschaft!«
    »Ich hoffe, daß Sie Ihre Einwilligung nicht zurücknehmen.«
    »Eigentlich sollte ich! Aber weil ich stets gern ein Mann von Wort bin, so mag es dabei bleihen. Aber Sie nehmen wohl ein geschlossenes Coupee?«
    »Ich muß!«
    »Na, mir auch recht. Wer einmal A gesagt hat, muß auch B sagen; das ist so der Welt Lauf.«
    Als sie später im Coupee beisammen saßen, wünschte sich der Schmied im Stillen Glück. Er hatte erst den Plan gehabt, ein nahes Coupee zu nehmen und während der Fahrt durch das Tunnel mittelst des Trittbrettes in das gegenwärtige zu gelangen. Im Finstern, hatte er gehofft, war der Wachtmeister ja sehr leicht zu übermannen. Jetzt war es ihm leichter gemacht. Er ahnte, daß der Wachtmeister eine heimliche Furcht vor dem Gefangenen habe und daher auf den Gedanken gekommen sei, einen kräftigen Passagier zu sich herein zu laden.
    »Das heißt den Bock zum Gärtner gemacht!« brummte er vergnügt in sich hinein.
    Da der Tag noch nicht angebrochen war, befand sich eine Lampe in dem Wagen, welche einen matten Schimmer um sich warf. Bei diesem unzulänglichen Scheine betrachtete Brandt den Fremden. Die Stimme desselben war ihm so bekannt, so heimathlich vorgekommen, aber er mochte sinnen, wie er wollte, er kam nicht auf die richtige Spur.
    Erst als es Tag geworden war und auch Kleinigkeiten besser gesehen werden konnten, betrachteten sich die drei Passagiere genauer. Der Schmied hatte sich kluger Weise neben den Wachtmeister gesetzt, dessen Auge also nicht für stets auf ihn gerichtet sein konnte. Er sah, daß das Auge des Gefangenen nachdenklich und immer nachdenklicher wurde. Er ahnte, daß er ihm bekannt vorkomme, und beschloß, ihm einen Wink zu geben. Er wartete einen Augenblick ab, an welchem der Wachtmeister sich abgewendet hatte, um zum Fenster hinauszublicken, und sagte, allerdings unhörbar, aber so, daß ihm die langsam construirten Worte von den Lippen gelesen werden konnten:
    »Wolf – der – Schmied!«
    Brandt hatte ihn scharf angesehen und die Worte deutlich von dem Munde des Sprechers weggenommen. War es möglich? Wolf, der Schmied aus Helfenstein? Was für eine Absicht hatte ihn herbei geführt? Der obere Theil des Gesichtes war allerdings demjenigen des Schmiedes ähnlich, aber die andere Hälfte wurde von einem langen, starken Vollbarte verdeckt, während Wolf keinen Bart trug. Auch das Haar dieses Viehhändlers war lang, während der Schmied das seinige ganz kurz abgeschoren zu tragen pflegte.
    Ein Kennzeichen aber gab es doch. Brandt erinnerte sich aus seiner Jugendzeit, daß der Schmied sich einst mit dem großen Schlaghammer auf den Daumen getroffen habe. Der Finger war so verstümmelt gewesen, daß der Nagel verloren ging, ohne durch einen Neuwuchs ersetzt zu werden. Er blickte nach der Hand des Viehhändlers. Ja, dort am rechten Daumen fehlte der Nagel – er war es!
    Warum aber diese Verkleidung? Wollte er ihn retten? Seine Seele jauchzte auf. Er machte einen Versuch, es zu erfahren, indem er an einem unbeobachteten Augenblicke mit dem Kopfe nach dem Fenster nickte. Der Schmied nickte zustimmend und ballte die Faust. Das war genug gesagt.
    Was aber hatte ihn veranlaßt, ein solches Abenteuer zu unternehmen? So fragte sich Brandt. Er hatte wohl öfters davon sprechen hören, daß Wolf vielleicht ein Schmuggler sei. Das aber konnte doch nicht die Veranlassung dazu sein, grad Denjenigen zu befreien, welcher damals die großartige Pascherei gestört und so werthvolle Güter confiscirt hatte.
    Da fuhr der Zug in Brandenau ein. Als er diese Station verließ, setzte sich der Wachtmeister zu Brandt

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