Der verlorne Sohn
Aber, Sie sprachen ja von einem Zweiten, welcher bei meiner Rettung mit geholfen hat?«
»Ja. Sie sollen ihn sehen. Kommen Sie!«
Er verdoppelte seine Schritte, so daß Brandt ihm kaum zu folgen vermochte. Als sie bei der Eiche am Dachsberge ankamen, sahen sie den Sohn des Schmiedes aus dem Busch gekrochen kommen. Er sowohl wie sein Vater legten ihre Umhüllungen ab, wuschen sich in einem nahen Wasser und legten dann ihre gewöhnliche Kleidung an.
Natürlich gab es unterdessen ein Fragen und Erkundigen, Antworten und Erklären, welches kein Ende nehmen wollte. Dem machte der Schmied einen Beschluß durch die Frage:
»Die Hauptsache ist, was gedenken Sie nun zu thun?«
»Natürlich muß ich schleunigst außer Landes!«
»Gut. Verkleidung haben wir mitgebracht, einen Paß auf den Namen meines Sohnes hier auch, und Geld – hm, es ist nicht viel, aber zweihundert Thaler habe ich beisammen.«
Da streckte Gustav ihm die beiden Hände entgegen und sagte:
»Ihr braven Leute! Wie soll ich Euch danken! Ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich zu solcher Freundschaft und zu solchen Opfern komme! Das erstere nehme ich an, die Verkleidung und den Paß, das letztere aber weise ich zurück. Für Geld wird mein Vater sorgen.«
»Sie wollen zum Förster?«
»Ja, natürlich!«
»Heut? Sogleich?«
»Ja. Und wenn es mein Leben gelten sollte, ich gehe nicht eher fort, als bis ich von den Eltern Abschied genommen habe.«
»Dachte ich es mir doch! Wissen Sie auch, was Sie wagen?«
»Ja. Sobald es ruchbar wird, daß ich entflohen bin, wird man telegraphiren, das Forsthaus zu bewachen. Aber ich werde es gar nicht betreten. Sie werden die Güte haben, Vater und Mutter heut Abend an einen Ort zu bestellen, wo man mich nicht vermuthen kann.«
»Nein, das werde ich nicht,« meinte der Schmied.
»Warum nicht? Wollen Sie Ihr Werk nicht krönen?«
»Das ist gar nicht nöthig. Wer wird denn Versteckens spielen, wenn man gar kein Versteck braucht? Sie werden frei und offen zu Ihren Eltern gehen, meinetwegen durch ein ganzes Heer von Gensdarmen hindurch, und Niemand soll Sie erkennen.«
»Wird die Verkleidung so gut sein?«
»Das will ich meinen. Gieb einmal her.«
Sein Sohn brachte ein Bündel aus den Büschen heraus. Es enthielt einen Anzug, welcher ganz vortrefflich für Gustav paßte. Eine hellblonde Perrücke, ein eben solcher Schnurr-und Backenbart, Tusche, Schminke und Puder – kurz und gut, als der Schmied ihn eine halbe Stunde unter den Händen gehabt hatte, hielt er ihm einen kleinen Taschenspiegel vor und fragte:
»Hier! Sehen Sie hinein! Kennen Sie den Kerl?«
Gustav fuhr erstaunt zurück und antwortete:
»Bei Gott, das bin ich nicht! Erstaunlich! Sie leisten mehr als der beste Friseur der Residenz!«
»Muß ich auch,« lachte der Schmied.
»Müssen? Wieso?«
»Hm! Man hat es zuweilen nöthig, seinem äußeren Menschen einen anderen Anstrich zu geben.«
»Wolf, Wolf! Wie es scheint, ist es wahr, was man von Ihnen munkelt!«
»Was denn?«
»Daß Sie Pascher sind!«
»Na, Sie können mir nichts mehr schaden, und da will ich es ja gestehen. Ein Wenig herüber und hinüber mache ich, aber nicht von Bedeutung. Ihnen kommt dies heut zu statten. Wir haben es nämlich weg, uns zu verändern, so daß uns Niemand kennt. Das ist aber auch sehr nöthig, sonst stäken wir schon längst da, wohin man Sie heut bringen wollte. Aber hier sind wir nun fertig. Jetzt geht es nach Annendorf.«
»Warum dorthin?«
»Weil ich da einen Vetter habe, welcher mir Pferd und Wagen borgen wird. Wir fahren nach Hause. Vielleicht kommen wir auf diese Weise dort eher an als die Gensdarmerie.« –
Es war gegen Mittag desselben Tages, da saß Alma von Helfenstein bei der Frau des Bahnhofsinspectors. Diese Dame hatte sich ihrer angenommen, als sie in Ohnmacht gefallen war, und ihr ein Zimmer angewiesen, in welchem sie sich ausruhen und erholen konnte.
Sie fühlte sich zum Sterben matt. Die Nachricht von dem gräßlichen Tode ihres Bruders war fast ein Todesschlag für sie gewesen. Jetzt nun hatte sie das Bett verlassen, um zu sehen, ob es ihr möglich sei, ihre Schwäche zu beherrschen.
Sie dachte nicht an die Zukunft; sie dachte nur an Vergangenes. Sie schloß der bürgerlichen, aber herzensguten und gebildeten Frau ihr Herz auf und erzählte ihr Alles, was in letzter Zeit auf sie hereingestürmt sei. So erfuhr die Inspectorin, daß sie sich die Schuld an dem Schicksale Brandt’s beilegte. Sie versuchte, sie zu trösten und
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