Der verlorne Sohn
Vögelein, lieb Vögelein,
O sag, o sag, liebst Du vielleicht?«
»Prächtig!« rief sie, in die Hände klatschend. »Das war erst die Rose und dann die Nachtigall. Das sind natürlich nur die Analogieen. Nun aber kommt das Richtige.«
»Was?«
»Hm! Man kennt Euch Dichter nur zu gut. Erst die letzte Strophe bringt Das, was Ihr eigentlich sagen wollt.«
»Nun, was will ich hier sagen?«
»Sagen nicht, sondern fragen.«
»Aber was?«
»Liebst Du vielleicht! Was denn anderes! Bitte, spannen Sie mich nicht auf die Folter. Das Gedicht ist sehr gut entworfen, und ich bin sicher, daß die letzte Strophe ebenso meinen Beifall finden wird, wie das Vorhergehende. Also lesen Sie nur immer weiter, Herr Bertram.«
Er recitirte, ihrer Aufforderung gemäß, noch die Strophe:
»Hast Du gefühlt in tiefer Brust
Des Herzens Klopfen, wenn ein Arm
Sich halb bewußt, halb unbewußt
Um Dich gelegt so treu, so warm?
Was mag das für ein Auge sein,
Deß’ Blick zu Dir herniedersteigt.
Lieb Herzelein, lieb Herzelein,
O sag, o sag, liebst Du vielleicht?«
»Ich dachte es mir,« bestätigte sie. »Erst die Rose, dann die Nachtigall, und nun das Herz. So mußte es kommen.«
»Also sind Sie zufrieden?«
»Hm. Eigentlich nicht.«
»Was haben Sie zu tadeln, gnädiges Fräulein?«
»Sie fragen immer: Liebst Du vielleicht?«
»Aber das ist ja die Aufgabe, welche Sie mir ertheilten!«
»Gewiß; aber so streng dürfen Sie sich doch nicht an sie halten: Sie dürfen doch nicht blos fragen, sondern Sie müssen ja auch antworten.«
»Ich wußte wirklich nicht, welche Antwort ich in aller Geschwindigkeit geben solle.«
»Was das betrifft, so muß ein Dichter allwissend sein. Das Genie darf eben nie in Verlegenheit kommen.«
»Ganz richtig, das Genie! Aber – – – ich!«
»Hm. Sie halten sich also für –«
»Für ein Genie – nicht.«
»Das freut mich.«
»Daß ich kein Genie bin? Wirklich?«
»Nein. Es freut mich, daß Sie sich für kein Genie halten. Sie sind bescheiden und das liebe ich. Uebrigens will ich Ihnen sagen, daß ich mit Ihrem Gedicht sehr zufrieden bin. Ich bin sehr geneigt, Ihnen eine kleine Anerkennung dafür zu widmen. Nur fällt mir leider nicht einmal in der Geschwindigkeit ein, wie ich das anfangen soll.«
»O, ich wüßte Rath, gnädiges Fräulein.«
»Was?«
»Er ist endlich herunter.«
»Wer?«
»Der da.«
Er deutete auf den Handschuh, den sie ausgezogen hatte. Sie schlug ein wohltönendes Lachen auf und sagte: »Ich brauche ihn ja noch?«
»O, ich mag ihn ja gar nicht!«
»Nicht? Ich denke doch!«
»Nein, ich mag ihn wirklich nicht; ich will überhaupt nichts haben, gar nichts, sondern ich will lieber geben.«
»Was denn?«
»Das.«
Er zog ihre Hand an seine Lippen und küßte sie mehrere Male. Sie erröthete ein Wenig, sagte aber doch scherzend: »Ich glaube, Sie fangen an, gelehrig zu werden.«
»Ich habe mir gelobt, mir Mühe zu geben.«
»Aber doch nicht mit mir!«
»Ist das verboten?«
»Gewiß! Was würde Ihre ›Angebetete‹ dazu sagen!«
»O, die ist auf alle Fälle mit Ihnen einverstanden.«
»Das will ich doch noch dahingestellt sein lassen. Aber, bleiben wir ernsthaft! Wollen Sie mir das Gedicht lassen?«
»Gern.«
»Ich darf es in Musik setzen?«
»Thun Sie damit, was Ihnen beliebt. Sie können es meinetwegen in’s Feuer werfen und verbrennen.«
»Nein, das thue ich nun freilich nicht. Ich finde, daß es melodiös ist und sich leicht componiren lassen wird.«
»Dann singen Sie es mir vor.«
»Gewiß. Ich muß doch Ihr Urtheil hören!«
»Wann ungefähr wird das sein?«
»Ich fange noch heute an.«
»Und werden auch heute noch fertig?«
»Vielleicht.«
»Nein, sondern gewiß. Ich weiß, wie schnell Sie arbeiten.«
»Nun, es ist möglich, daß ich noch fertig werde. Also, wollen Sie es dann gleich hören?«
»Wenn möglich heute noch.«
»So kommen Sie heute Abend.«
»Ich danke.«
»O nein, ich habe zu danken. Sie sollen mein Beschützer sein.«
»Wieso?«
»Weil ich ohne Sie ganz allein sein würde. Papa und Mama gehen in das Theater. Gehen Sie auch? Dann dispensire ich Sie allerdings.«
»Nein. Ich habe den Freischütz bereits im vorigen Monate gesehen, gnädiges Fräulein.«
»Ich meine nicht das Hof-, sondern das Residenztheater. Die Eltern wollen sehen, welche von den beiden Tänzerinnen die Andere besiegen wird.«
»Ich mag kein Ballet sehen.«
»Ich auch nicht. Darum bat ich, zu Hause bleiben zu dürfen. Nun kommen
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