Der verlorne Sohn
Sie!« –
Der König war noch nicht weit vom Hotel Union fortgekommen, so begegnete ihm eine jugendliche Reiterin. Sie senkte Kopf und Reitgerte respectvoll, und er zog grüßend den Hut. Er kannte das schöne Mädchen. Es war Fanny, die Tochter des Obersten von Hellenbach.
Sie war jetzt immer recht sehr beschäftigt. Robert Bertram war ein-für allemal zu ihren Eltern geladen und machte von dieser Erlaubniß den ausgiebigsten Gebrauch. Er las mit ihr, musicirte mir ihr, spielte Schach und Dame mit ihr und durfte sie auf ihren Ausflügen begleiten. Jetzt wollte sie ihn zu einem Spazierritte abholen. Der Fürst hatte ihm ein Pferd zur Verfügung gestellt, und er war in sehr kurzer Zeit ein sehr guter Reiter geworden.
Freilich holte sie ihn nicht in der Palaststraße ab, sondern sie ritt nach der Siegesstraße, wo sie vor dem Häuschen Papa Brandts abstieg. Einen Diener hatte sie nicht mit. Sie band also das Pferd an die Ladenangel und trat ein.
Mutter Brandt kam ihr mit glänzendem Gesicht entgegen. Es war allemal wie Sonnenschein, wenn Fanny sich hier sehen ließ. Nur hütete sie sich, es dem Fürsten allzusehr merken zu lassen, daß sie gern hier in dem Häuschen sei. Warum, das wußte sie selbst nicht recht.
»Guten Morgen, Mama Brandt,« grüßte die schöne Oberstentochter. »Ist er da?«
»Ja,« lächelte die Alte schlau.
»Wo befindet er sich?«
»Drinn im Stübchen. Er sitzt im Großvaterstuhle und raucht seine Pfeife Rolltabak mit Portorico.«
»Wer? Der wird doch nicht Pfeife rauchen und im Großvaterstuhle sitzen!«
»Warum denn nicht? Er hat sonst ja nicht viel zu thun.«
»Ach, Sie meinen Ihren Papa Brandt?«
»Ja. Wen soll denn ich sonst wohl meinen?«
Doch dabei sah man es ihr deutlich an, daß sie ganz wohl wußte, auf wen sich Fanny’s Frage bezogen hatte.
Diese gab ihr einen liebevollen Klapps und sagte:
»Garstigkeit und Schabernack! Nun gehe ich aber doch grad hinein zu Ihrem Brummbär, und sollten Sie auch vor Eifersucht schier platzen!«
Sie blieb aber doch nicht lang drinnen; denn schon nach einer Minute kam sie wieder und meinte hustend: »Puh! Dieser Portorico! Oder ist’s der Rollentabak?«
»Beides, beides, liebes Kind!«
»Desto schlimmer! Schütten Sie ihm doch Pfeffermünzöl hinein. Dann riecht der Tabak besser. Ist Herr Bertram oben in seinem Zimmer?«
»Ja, gnädiges Fräulein.«
»Nun, so wollen wir ihn schleunigst einmal überfallen!«
Sie stieg die Treppe empor, klopfte an und fand Robert mit einer schriftlichen Arbeit beschäftigt. Die Röthe der Freude stieg in seine schönen, geistvollen Züge, als er die Freundin, die heimlich Geliebte, erblickte. Sie reichte ihm zum Gruße die Hand entgegen, und er drückte dieselbe leicht in ehrerbietiger Weise.
»Nicht so!« sagte sie. »Wissen Sie, lieber Herr Bertram, daß ich fast verzweifle, meine Erziehung von Erfolg gekrönt zu sehen.«
»Das haben Sie wohl nicht dem Mangel an gutem Willen meinerseits zuzuschreiben, gnädiges Fräulein,« antwortete er.
»O doch! Was sollte denn sonst die Ursache sein?«
»Vielleicht besitze ich nicht das richtige und ausreichende Verständniß für Ihre lobenswerthen Bemühungen. Habe ich vielleicht jetzt wieder einen Fehler begangen?«
»Natürlich, und zwar einen ganz bedeutenden.«
»Dann bitte ich um Erklärung.«
»In dem Sie das thun, machen Sie sich bereits wieder einer Unterlassungssünde schuldig!«
»Sie sehen mich in größter Verzweiflung.«
»Gewiß, weil Sie nicht einsehen, welche Sünde das ist.«
»Ja, so ist es freilich.«
»Nun, Sie fordern eine Erklärung und lassen mich dabei stehen. Wollen Sie mir denn nicht einen Sitz anbieten? Oder wünschen Sie etwa, daß ich mich schleunigst entferne?«
»Nein, o nein! Hier, bitte, nehmen Sie Platz!«
Er schob ihr einen Sessel hin, und während sie sich in graziöser Weise darauf niederließ, fuhr er fort: »So, der zweite Fehler ist gut gemacht. Nun aber darf ich wohl auch den ersten erfahren.«
»Gewiß. Wissen Sie, wem man beim Empfange die Hand in der Weise drückt, wie Sie es bei mir gethan haben?«
»Nun, wem?«
»Irgend einer Person, welche man nur oberflächlich kennt, die Einem aber sehr gleichgiltig ist. Man sollte doch denken, daß es einem Dichter nicht so schwer fallen kann, ein Damenherr zu werden!«
»O bitte, diese Bezeichnung ist mir nicht geläufig,« meinte er lächelnd. »Was habe ich unter einem Damenherrn zu verstehen?«
Sie schlug im komischen Erstaunen die Hände zusammen und
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