1114 - Der Pestmönch
Sie waren deutlich zu vernehmen. Anhand dieser Laute ließ sich auch herausfinden, ob ein Mensch unter großem Druck stand oder sich so in der Gewalt hatte, daß er ganz normal ein- und ausatmete.
Endlich hörte er sie gehen. Die Frau bewegte sich nicht normal weiter. Ihre Füße setzte sie vorsichtig auf, und es entstand dabei ein leises Tappen. Suko besaß ein sehr scharfes Gehör, und es fiel ihm auf, daß sich die Person von ihm wegbewegte.
Aber nicht zurück. Sie blieb in gleicher Höhe und beschleunigte plötzlich ihre Schritte.
Suko sah die Frau. Sie trat ins Helle hinein, und sie hielt tatsächlich eine Waffe in der Hand. Es war ein stupsnasiger Revolver, dessen Mündung auf ihn zeigte. Mit einem Blick hatte die fremde Person die Lage überblickt. Sie sah den zerbrochenen Spiegel und damit auch den Eingang des Tunnels.
Ihre Augen weiteten sich für einen Moment. Mehr Zeichen der Überraschung gab sie nicht von sich.
Ob die Frau ihn jemals gesehen hatte, wußte Suko nicht. Er aber kannte sie zumindest vom Ansehen her. Die Blonde war so etwas wie eine Reiseleiterin. Er hatte sie am Bus gesehen, in dem die Fahrgäste hier ans Ziel gebracht wurden, ins Castle Inn, nach einem Zwischenstopp auf Windsor Castle, denn hier sollten die älteren Menschen dazu animiert werden, das zu kaufen, was sie zumeist nicht brauchten. Deshalb waren sie weiter oben im Gastraum.
Die Frau ging nicht mehr weiter. Sie hatte ihr Verhalten verändert. Suko kannte sie als eine Person, die sehr gutgelaunt war oder perfekt dies spielen konnte. Diese Tarnung hatte sie nun abgelegt. Auf den Inspektor wirkte sie kalt, abweisend und auch entschlossen, all das zu verteidigen, was ihr wichtig war.
Besonders gewisse Geheimnisse.
Sie sagte zunächst nichts. Kalt schaute sie ihn an. Sie wirkte tough, beinahe wie aus dem Modejournal für erfolgreiche Frauen entsprungen oder wie eine Moderatorin, die irgendein Boulevard-Magazin ansagte.
In einer für sie günstigen Entfernung blieb sie stehen. Suko registrierte jedes Detail, auch eben die Distanz zwischen ihnen, und er ging davon aus, daß sie ein mit allen Wassern gewaschener Profi war.
»Ich denke, Sie sind mir eine Erklärung schuldig«, sprach sie den Inspektor an.
Suko blieb gelassen. Er hatte nicht einmal seine Arme angehoben. Das störte sie nicht weiter.
»Weshalb sollte ich Ihnen etwas erklären?« fragte er.
»Was tun Sie hier?«
»Bitte, was tut man schon auf einer Toilette…?«
»Reden Sie keinen Unsinn.«
»Sorry, was wollen Sie hören?«
»Ich glaube Ihnen nicht, Mister.«
»Gut, Ihr Problem. Was glauben Sie denn?«
Über die Lippen glitt ein schmales Lächeln hinweg. »Das will ich Ihnen sagen. Sie sind erschienen, um mir nachzuspionieren. Sie sind verdammt neugierig. Sie wollten etwas herausfinden, und deshalb haben Sie sich eingeschlichen.«
»Wenn Sie das meinen, müßte es hier Geheimnisse geben.«
»Für mich nicht, aber für Sie.«
»Und welche könnten das sein?«
Diesmal verzog sie heftig den Mund.
»Verdammt noch mal, ich kann Sie hier killen, und ich werde es auch tun, wenn Sie mir nicht die Wahrheit erzählen. Was wissen Sie?«
»Zu wenig.«
»Sie haben den Spiegel zerstört!«
»Ach ja? Wieso denn? Kann es nicht sein, daß er bereits zerstört gewesen ist?«
»Nein.«
»So wie es hier aussieht, und es sieht nicht eben gut aus, hätte es dazu gepaßt.«
»Hören Sie mit diesem Mist auf!« fuhr sie Suko an. »Verdammt noch mal, Sie haben den Spiegel zerstört. Ich konnte es hören.«
Da hatte sie durchaus recht. Aber Suko hatte ihn nicht grundlos eingeschlagen, denn er hatte, als er noch allein hier unten gewesen war, Geräusche gehört, die hinter ihm aufgeklungen waren. Quasi versteckt in der Wand, im Mauerwerk, hatte sich etwas bewegt und entsprechende Laute hinterlassen.
Suko hatte den Dingen auf den Grund gehen wollen und deshalb den Spiegel eingeschlagen. Daß sich dahinter der Eingang zu einem Tunnel verbarg, war eine Überraschung gewesen. Er hatte auch keine Ahnung, wohin der Tunnel führte.
Dies alles war im Zuge von Ermittlungen geschehen, um die sich Suko, John und Glenda kümmerten. Sie waren gezwungen, einen schrecklichen Fall aufzuklären. Es gab da eine Frau, die Furchtbares hinter sich hatte. Aus dem aufgebrochenen Geschwür an ihrer Schulter war plötzlich ein zweiter Kopf hervorgeschnellt. Ein schreckliches Gesicht, eine ekelhafte Fratze mit einem langen Hals darunter. Ein glitschiges Ding, das hin und her pendelte und dabei
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