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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sagte:
    »Wirklich, das ist sie. Aber was ist mit ihr geschehen?«
    »Sie wurde scheinbar als Cassirerin engagirt –«
    »Ich weiß das,« fiel Holm ein. »Ihr Vater erzählte es mir.«
    »Sollte aber gezwungen werden, sich als Tau-ma vor dem Publikum zu produciren.«
    »Herrgott! Weiter, weiter!«
    Der Arzt erzählte in kurzen Worten, was geschehen war. Als er geendet hatte, sagte der Fürst:
    »Das ist wirklich gräßlich! Welch ein Glück, daß Sie zufällig jene Unterredung belauschten. Das Interessanteste aber ist, daß wir Beide wegen einer Schwester von ihr nach Rollenburg kommen. Sie wollen mit dem nächsten Zuge mit ihr zurück?«
    »Ja. Er geht in einer Viertelstunde ab.«
    »Können Sie nicht noch um einen Zug länger warten?«

    »Wenn Sie es wünschen, Durchlaucht, ja.«
    »Ich will Ihnen den Grund jetzt noch nicht angeben, denn, wenn es sich um ein gutes Werk handelt, soll man keine Minute verlieren. Bitte, bleiben Sie hier im Wartezimmer. Wir fahren dann mit einander nach der Residenz.«
    Er verließ mit Doctor Holm den Bahnhof und begab sich direct nach der Gefangenenanstalt, wo er sich zum Director melden ließ. Natürlich wurden Beide sofort von dem Beamten vorgelassen.
    »Sie haben unter Ihren weiblichen Gefangenen eine gewisse Laura Werner?« fragte der Fürst.
    »Allerdings, Durchlaucht!«
    »Wie hat sie sich geführt?«
    »Ausgezeichnet, so daß ich selbst ihr wiederholt gerathen habe, ein Gesuch um Begnadigung an Seine Majestät abgehen zu lassen. Eigenthümlicher Weise aber ist sie nicht darauf eingegangen. Und das ist das Einzige, was ich an ihr zu rügen habe.«
    »Zu rügen?«
    »Ja. Sie behauptet nämlich, daß sie nicht ihre Begnadigung, sondern ihr Recht zu verlangen habe.«
    »Und das rügen Sie?«
    »Natürlich. Sie ist nämlich bis heute ungeständig. Sie hält an der Fabel fest, welche sie bereits während ihrer Untersuchung vorgebracht hat. Ihr Vater, welcher sie besuchte, glaubte an das Märchen, ich aber ebenso wenig wie ihre einstigen Richter. Doch will ich zu ihrer Entschuldigung gelten lassen, daß sie nicht aus Verhärtung und Bosheit, sondern nur aus falscher Scham leugnet.«
    »Und doch befinden Sie sich im Irrthume, Herr Regierungsrath. Sie leugnet weder aus Scham, noch aus Bosheit. Sie leugnet überhaupt gar nicht.«
    »Ah! Wie soll ich das verstehen, Durchlaucht?«
    »Nun, leugnen kann man doch nur das, was man wirklich gethan hat. Sie aber ist unschuldig.«
    »Wie? Was?« fragte der Beamte erstaunt.
    »Ja, vollständig unschuldig. Es ist ganz in aller Wahrheit und ganz wörtlich so, wie sie es beschrieben hat. Die Schuldigen sind entdeckt, und ich bin hier, Sie um die unschuldig Bestrafte zu bitten.«
    »Sie soll entlassen werden?«
    »Ja. Die Untersuchung wird wieder aufgenommen.«
    »Dann hat sie aber in Gewahrsam zu bleiben, bis ihre Unschuld durch Richterspruch entschieden ist.«
    »Eigentlich, ja. Aber einestheils liegen die Verhältnisse so, daß gar kein Zweifel mehr möglich ist, und anderntheils habe ich mich veranlaßt gesehen, für das arme Mädchen zu bürgen. Hier Herr Doctor Holm ist der Entdecker ihrer Unschuld; auch ich bin ein Wenig dabei thätig gewesen, und so ist uns von Seiten Seiner Excellenz des Ministers der Justiz die Genugthuung geworden, daß man von dem gewöhnlichen Wege gewichen ist und uns die Erlaubniß gegeben hat, der Gefangenen ihre Freiheit zu verkünden und sie ihrer Familie wiederzugeben.«
    »Ah! Ah! Ah!« machte der Director, noch immer nicht ganz Herr seines Erstaunens. »Aber, Verzeihung, Durchlaucht, gewissen Formalitäten muß doch immer Genüge geschehen.«
    »Natürlich! Ich war am frühen Morgen bei Excellenz und habe da den Befehl an Sie erhalten, Laura Werner sofort zu entlassen. Hier ist er.«
    Er zog ein mit dem Ministerialsiegel versehenes Schreiben hervor und reichte es dem Director hin. Dieser las die wenigen Zeilen und sagte dann: »So, so kann man sich irren!«
    »Sie haben die Gefangene also doch für schuldig gehalten?«
    »Ja. Es kommt ja leider so häufig vor, daß der Detinirte bei der Behauptung seiner sogenannten Unschuld bleibt, obgleich seine Schuld klar am Tage liegt.«
    »Nun, hier schien sie allerdings klar am Tage zu liegen; aber diese Klarheit war doch eine Täuschung. Bitte, wollen Sie die Unglückliche holen lassen?«
    »Oder die Glückliche, Durchlaucht!«
    »Bezweifle sehr!«
    »O, es ist doch jedenfalls ein Glück, seine Unschuld erkannt und bestätigt zu wissen!«
    »Nachdem man Jahre lang

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