Der verlorne Sohn
der Stadt ein und führte dann Laura Werner in einen Confectionsladen, wo er sagte, daß er diese Dame vollständig neu zu kleiden wünsche.
Sie erschrak beinahe, als sie diese Worte hörte; er aber machte dem Besitzer noch einige leise Bemerkungen und sagte ihr dann, daß er sie in der gegenüberliegenden Restauration erwarten werde.
Als sie später, von einer Verkäuferin, welche die Rechnung brachte und von dem Fürsten bezahlt wurde, begleitet, dort eintrat, machte sie freilich einen ganz anderen Eindruck, als vorher in ihrem ärmlichen Anzuge.
Nun erst begaben sie sich nach dem Bahnhofe, wo der Fürst sogleich den Inspector aufsuchte, um ihn zu fragen, ob er nicht ein Zimmerchen zur Verfügung habe, in welchem ein unerwartetes Wiedersehen stattfinden könne, ohne von zudringlichen Augen und Ohren beobachtet und belauscht zu werden.
Laura, welche diese Frage natürlich nicht zu hören bekommen hatte, wurde von dem freundlichen Inspector in eins seiner Privatzimmer geführt, ohne zu wissen, weshalb. Ihre beiden Beschützer aber begaben sich nach dem Wartesaale, in welchem Doctor Zander mit Emilie Werner saß. Holm reichte der Letzteren die Hand zum Gruße und sagte ihr: »Fräulein Werner, die Frau Inspector möchte Sie einmal bei sich sehen. Darf ich Sie zu ihr führen?«
»Mich sehen, warum?«
»Sie hat mir weiter keine Mittheilung gemacht; aber bitte, kommen Sie nur!«
Sie folgte ihm, einigermaßen verwundert, daß sie zu der Frau des Bahnbeamten, die sie jedenfalls doch gar nicht kenne, kommen solle. Dort an der Thür angelangt, klopfte Holm an.
»Herein,« sagte eine halblaute, zaghafte Stimme.
»So, gehen Sie hinein!« meinte Holm. »Wenn Sie fertig sind, kommen Sie Beide wieder zu uns hinüber.«
Er öffnete, schob sie hinein und drückte hinter ihr die Thüre wieder in das Schloß. Einen Augenblick lang war es still; dann aber ertönte ein doppelter Schrei: »Laura! Ist’s wahr?«
»Emilie! Du?«
Ein schluchzendes Jauchzen folgte, dann schlich Holm sich fort. Im Wartesaale fand er den Fürsten mit dem Arzte bereits im angeregten Gespräch. Ersterer fragte gerade: »Aber einen positiven Grund hat dieser Baron zu seiner impertinenten Frage wohl nicht gehabt?«
»Nein; davon bin ich überzeugt.«
»Er hat also nur auf den Strauch geschlagen?«
»Jedenfalls.«
»Und was gedenken Sie nun zu thun?«
»Ich komme natürlich nicht mehr zurück, werde vielmehr sehen, ob es mir möglich ist, in der Residenz mein Zelt aufzuschlagen.«
»Natürlich, natürlich! Sie können sich auf meine Beihilfe jedenfalls verlassen, und ich denke, daß Sie bald in Kundschaft kommen werden. Einen Patienten haben Sie ja bereits dort.«
Er deutete dabei lächelnd auf Holm, welcher ja seine linke Hand in der Binde trug.
»Wie geht es? Haben Sie Schmerzen?« fragte Zander.
»Nein, gar nicht.«
»Nun, so bin ich überzeugt, daß Sie den vollständigen Gebrauch der Hand wieder erhalten werden.«
Da kam Holm ein Gedanke. Er fragte:
»Sagen Sie, Herr Doctor, ist der Krebs heilbar?«
»Er wird für unheilbar ausgegeben; aber ich halte ihn im Gegentheile für heilbar. Es handelt sich freilich um seine Ursachen, ferner wie alt er ist und unter welchen Umständen er auftritt. Kennen Sie vielleicht einen Krebskranken?«
»Ja, die Mutter der beiden Schwestern, welche jetzt ihr Wiedersehen feiern!«
»Nun, da wir uns so angelegentlich mit den Töchtern beschäftigen, kann man sich auch für die Mutter interessiren. Ich werde diese also noch heute besuchen.«
»Danke! Aber bitte, erzählen Sie uns doch ausführlicher, was mit dieser armen Emilie hier geschehen ist.«
»Ja. Vorhin konnte ich nur kurze Andeutungen geben. Hören Sie!«
Er gab nun einen umständlichen Bericht. Den beiden Zuhörern graute es, als sie hörten, wie das arme Mädchen behandelt worden sei.
»Und ihr Vater freute sich so über dieses Engagement,« sagte Holm. »Wird er das Geld herausgeben müssen?«
»Man wird es so einzurichten wissen, daß er es behalten kann,« meinte der Fürst.
»Aber ich hörte von ihm, daß er sich ebenso wie seine Tochter habe unterschreiben müssen. Ich vermuthe da irgendeine Infamität.«
»Nun, dieser Director Baumgarten ist ein Schurke. Er hat Emilie Werner in sein Netz gelockt, und die Mittel, deren er sich hierzu bediente, haben keine rechtliche Geltung. Die Unterschrift des Vaters und der Tochter wird für diesen Menschen von keinem Vortheile sein. Er hat die beklagenswerthe Person angebunden, also ihrer
Weitere Kostenlose Bücher