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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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unnatürlich groß auf ihn, und ihre erhobenen Arme blieben ausgestreckt, als ob sie alle Macht der Bewegung verloren habe.
    »Alma, meine Alma!« antwortete er.
    Sie blieb stumm und unbeweglich.
    »Alma, um Gotteswillen! Was ist mit Dir!«
    Er trat den einen Schritt auf sie zu und legte den Arm um ihre Taille. Bei dieser Berührung zuckte sie zusammen. Aus ihrem Munde tönte ein zweiter, unarticulirter Schrei. Sie zuckte zusammen; ihre Arme sanken nieder; ihr Mund schloß sich, und ihre Wimpern legten sich auf die Augen.
    Die Erstarrung war vorüber. Sie brach so schnell zusammen, daß er kaum Zeit fand, sie fest zu halten.
    Er trug sie nach dem Sopha und öffnete ihr das dunkle Kleid, damit ihre Brust zu athmen vermöge. Er tauchte sein Taschentuch in Wasser und kühlte ihr Stirn und Schläfe.
    Dabei nannte er sie bei den süßen Worten, welche ihm die Angst der Liebe eingab. Endlich, endlich öffnete sie die langen, seidenen Wimpern. Ein beinahe irrer, zweifelsvoller Blick stahl sich hervor, und dann hauchte sie kaum hörbar: »Gustav!«
    »Meine Alma!«
    »Ist’s wahr? Du bist’s, Du?«
    »Ja, ich bin es, mein Engel, meine Seele, mein Leben!«
    »Ich täusche mich nicht?«
    »Nein.«
    »Es ist nicht das Bild, welches der Fürst mir zeigte?«
    »Nein. Bitte, fühle mich an!«
    Er ergriff ihre Alabasterhändchen und drückte sie an seine Lippen, an seine Wangen. Ihrer Brust entrang sich ein tiefer, schwerer Athemzug; sie hauchte: »Du mein lieber, lieber Gott, ich danke Dir!«
    Er nahm sie in seine Arme und legte ihr liebes Köpfchen an sein Herz.
    »Fast wäre es zu viel gewesen,« klagte er.
    »Ja. Fast hätte mich der freudige Schreck getödtet!«
    »Nun aber ist’s doch vorbei? Nicht? Bitte, bitte!«
    Seine Stimme hatte jenen einzigen, unbeschreiblichen Ton angenommen, dessen die menschliche Sprache nur im Augenblicke des Entzückens, des größten Glückes, der höchsten Liebe fähig ist. Sie lauschte diesem Tone. Sie bemerkte nicht, daß er ihr Kleid geöffnet hatte, und daß sein Auge einzudringen vermochte in ein Heiligthum, welches noch von keinem Blicke entweiht worden war. Sie antwortete:»Ja, nun ist’s vorbei. Ich werde nicht vor Freude sterben.«
    »Nein, leben sollst Du, leben! Glücklich sollst Du sein nach diesen langen Jahren der Trauer und des Unglückes.«
    Er küßte sie auf den Mund, und sie erwiderte seinen Kuß.
    »Das ist das erste, erste Mal,« flüsterte sie.
    »Daß Du mich küssest?«
    »Ja – ich meine, nicht als Bruder.«
    »Und doch hast Du mich bereits auch anders geküßt.«
    »Dich? Und wo war das?«
    »Bei Dir, in Deinem Zimmer.«
    Sie blickte ihn mit großen Augen an und sagte:
    »Wie wäre das möglich? Du warst ja nie bei mir!«
    »Nie? Ach so! Denke an den Fürsten!«
    Da fuhr sie in seinen Armen empor und sagte:
    »Ja, der Fürst! Wo ist er hin?«
    Jetzt bemerkte sie die geöffnete Taille, und unter einem tiefen Erglühen verhüllte sie sich wieder.
    »Willst Du ihn sehen?«
    »Ja,« antwortete sie. »Er darf uns nicht überraschen.«
    »So meinst Du, er habe mich zu Dir gebracht?«
    »Wie sonst?«
    »Nun, paß auf!«
    Er nahm seine Arme von ihr und drehte sich ab. Dann hob er die weggeworfenen Gegenstände von der Diele auf, legte sie an und drehte sich um: »Hier ist er, gnädiges Fräulein!«
    Er sagte dies auch mit anderer, mit derjenigen Stimme, in welcher der Fürst stets gesprochen hatte.
    »Durchlaucht! Gustav! Du bist es? Du bist Beides?«
    »Ja, mein Leben.«
    »Du konntest so lange, so lange Zeit hier in der Residenz sein, ohne daß Du Dich mir zu erkennen gabst?«
    Er legte die Verhüllung schnell wieder ab, schlang die Arme um sie, zog sie mit sich auf den Sitz nieder und sagte: »Bist Du mir vielleicht bös darüber?«
    Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und antwortete:
    »Ich weiß es nicht; ich weiß überhaupt gar nichts; ich weiß nicht, was ich denken und sagen soll. Diese Ueberraschung ist so groß; sie kommt so plötzlich, daß es mir ist, als ob meine Sinne sich verwirren sollten. Halte mich, halte mich fest, lieber Gustav, sonst falle ich.«
    Es wurde ihr drehend. Die Farbe kam und ging in ihrem Gesicht; er fühlte das rasche Wogen ihres Busens und das stürmische Klopfen ihres Pulses und machte sich im Stillen die bittersten Vorwürfe. Diese zu plötzliche und zu große Ueberraschung hätte ihren Tod herbeiführen können. Er drückte sie fest, fest an sich und wartete, bis sie Etwas sagen werde.
    Aber sie sagte nichts; er merkte nur,

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