Der verlorne Sohn
mit größter Spannung auf seine Wiederkehr. Fast war die angegebene Zeit vergangen; da kam der Graveur.
»Nun?« fragte Salomon Levi.
»Sie wollte nicht – –«
»Dummheit!«
»Aber ich stellte ihr vor, daß wir ja Geld haben müssen, und so hat sie mir das Loos mitgegeben.«
»Das ist Ihr Glück! Soeben sind die fünfzehn Minuten vorüber. Haben Sie das Loos mit?«
»Ja. Hier ist es!«
Er gab das Loos hin. Der Jude betrachtete es. Es war wirklich die Nummer 45332, von welcher der Collecteur gesagt hatte, daß das große Loos auf sie gefallen sei.
»Bereits sechzehn Minuten verflossen,« sagte er. »Aber ich will eine Ausnahme machen und die eine Minute nicht rechnen, Sie sollen das Geld haben.«
Er zahlte ihm die dreißig Gulden aus, und der Graveur ging. Der Jude wartete, bis dieser Letztere fort war; dann streckte er jubilirend die Arme empor und rief: »Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs! Was ist das für ein Geschäft! Was ist das für ein Gewinn! Fünfzigtausend Gulden in dieser kurzen Zeit. Ich habe gemacht in meinem ganzen Leben nie ein so brillantes Geschäft!«
Da trat seine Alte herein und fragte:
»Hast Du erhalten das Loos?«
»Ja; er hat es gebracht, Rebekkaleben.«
»Ist es das richtige?«
»Es ist dreihundertzweiunddreißig und fünfundvierzigtausend, worauf ist gefallen der große Gewinn, welcher wird gezahlt werden bei uns auf die Hälfte.«
»Hättest Du denn nicht haben können mehr als die Hälfte?«
»O, ich hätte so gern gehabt das Ganze, aber der Collecteur von der Lotterie ist gewesen so kurz, daß ich bekommen habe große Angst, daß er gehen möchte zu noch einem Anderen.«
»Und was hast Du bezahlt für das Loos?«
»Dreißig Gulden.«
»Dreißig ganze, schöne, silberne Gulden? O, Salomonleben, Du hast bezahlt zu viel, viel zu viel für das bißchen Papier, auf welchem doch nichts Anderes steht als eine Nummer.«
»Ja, es ist zuviel. Aber wenn ich nicht hätte geben wollen dreißig Gulden, so hätte ich gar nicht bekommen diese Nummer. Es ist dem Graveur gestorben die Schwiegermutter; er braucht grad dreißig Gulden, sie zu begraben, darum hat er mir nicht gelassen billiger das Loos.«
»Dreißig Gulden?« sagte sie erstaunt. »Dreißig Gulden, um zu begraben ein altes Weib? Was wird kosten der Sarg?«
»Er kann bekommen einen Sarg schon zu vier Gulden.«
»So mag er bezahlen vier Gulden und die Alte hinausschaffen in das Loch. Behält er übrig noch sechsundzwanzig Gulden. Salomon, Du hättest geben sollen nur zehn Gulden! Er hätte immer noch übrig sechs!«
»Was verstehst Du doch gut zu rechnen,« schmunzelte der Alte. »Werde ich Dir auch, wenn Du stirbst, machen lassen einen Sarg zu vier Gulden und werde Dich hinausfahren selbst, damit ich spare das große Geld des Begräbnisses.«
»Ja, thue das, damit meine Tochter Judithleben erhält ein großes Vermögen. Aber, zeige mir das Loos, damit ich sehe ein Papier, welches werth ist hunderttausend Gulden.«
»Hier ist es; siehe es Dir an!«
Er gab ihr das Loos in die Hand. Sie verschlang es fast mit ihren gierigen Augen, preßte es zwischen ihre Hände und murmelte in einer Art irrer Verzückung: »O, was sind wir gewesen so arm! Wir haben gehabt Hunger und Durst; aber wir haben nicht gegessen und nicht getrunken, um uns zu sammeln ein Vermögen, mit welchem wir gehören zu den Leuten, welche man nennen kann reich. Salomon Levi, wenn ich sterbe, so giebst Du mir in meiner Todesstunde in die Hand ein solches Papier, damit mein Geist sich freue über die Arbeit, welche er hat vollbracht auf dieser Erde.«
Da klingelte es, und die Alte ging, um nachzusehen, wer es sei, der Einlaß begehrte. Bald kam sie zurück und meldete: »Es ist da der Lieutenant von Scharfenberg, welcher wünscht, zu sprechen mit Dir. Bist Du für ihn daheim?«
»Hast Du gesagt, daß ich bin da?«
»Nein. Ich habe gesagt, daß ich will nachsehen.«
»So sage ihm, daß ich habe keine Zeit. Er wird nicht gehen, und erst nach langem Bitten wirst Du ihn schicken.«
»Recht so, Salomonleben. Diese Herren vom Militär, welche sind so stolz, daß sie auf der Straße keinen Menschen ansehen, der nicht ist ein Krösus oder ein Adeliger, diese Herren muß man demüthigen, wenn sie kommen, Geld zu leihen, um zu bezahlen ihre Schulden und zu retten ihre Ehre, welche nicht ist werth einen Gulden und auch nicht einen Kreuzer.«
Sie ging, und nach Verlauf von wohl erst einer Viertelstunde trat der Lieutenant sporenklirrend ein.
Er grüßte.
Weitere Kostenlose Bücher