Der verlorne Sohn
Das große Loos.«
»O Du mein Heiland!« schrie die Frau und sank auf einen Stuhl nieder.
Die Kinder stimmten sofort ein, und der Mann lehnte sich, wortlos weinend an die Wand.
»Erschrecken Sie nicht, und weinen Sie nicht,« sagte Zander. »Noch ist Hoffnung vorhanden, den Gewinn für Sie zu retten.«
»Zu retten?« fuhr die Frau auf.
»Ja.«
»Für uns? Das große Loos?«
»Ja. Das ist ja eben die Angelegenheit, in welcher ich zu Ihnen komme. Nämlich der Collecteur hat die Depesche erhalten, daß auf 45332 der große Gewinn gefallen sei. Er gönnte ihn keinem Andern, und da er ihn nicht ganz haben konnte, so wollte er wenigstens die Hälfte für sich erobern. Er ging daher zu dem Juden Salomon Levi und veranlaßte diesen, Ihnen das Loos schleunigst abzukaufen. Sie wollen den Gewinn theilen, Jeder fünfzigtausend Gulden.«
Die sonst so ruhige und besonnene Frau zeterte laut auf und fuhr sich mit den Händen in die Haare. Zander beruhigte sie, indem er sagte: »Verzagen Sie nicht. Es ist noch nichts verloren. Ich bin Zeuge dieses betrügerischen Handels und kam zu Ihnen, um Ihnen meine Dienste anzubieten.«
»Wie gut, wie freundlich von Ihnen! Sie denken also, daß noch nichts verloren ist?«
»Nein. Der Handel ist verbrecherisch; er muß rückgängig gemacht werden.«
»Wie aber ist das anzufangen?«
»Ihr Mann begleitet mich sofort zum Staatsanwalt. Wir machen Anzeige.«
»Ja, ja; die muß gemacht werden. Franz, Franz, schnell! Ziehe den Rock an, damit Du mitgehen kannst!«
Der Graveur lehnte noch immer bleich wie der Tod an der Wand. Jetzt fragte er:
»Herr Doctor, ich bin wie im Traume! Meine Ohren summen und brummen, und vor den Augen zuckt und flimmert es wie lauter Blitze. Ist es wahr, was Sie sagten?«
»Glauben Sie, daß ich mit so braven, armen Leuten meinen Scherz und Spott treiben möchte?«
»Unser Loos hat den großen Gewinn?«
»Ja.«
»O Gott, mein Gott! Das bin ich nicht werth, ganz und gar nicht werth! Das habe ich nicht verdient!«
»Es ist eine Schickung Gottes und kein Verdienst; das ist wahr, mein bester Herr Herold.«
»O nein. Ich hätte eigentlich etwas ganz Anderes verdient! O Gott, o Gott! Wenn ich es doch nur ändern könnte! Ach, könnte ich es nur noch ändern!«
»Was?«
Er warf einen verzweifelten Blick auf seine Frau, schüttelte den Kopf und antwortete:
»Nicht jetzt. Später vielleicht!«
»So kommen Sie jetzt mit zum Staatsanwalte, damit wir nichts versäumen.«
»Ja, Franz, geh, geh, beeile Dich!« rief die Frau.
Er zog den Rock an und entfernte sich mit dem Arzte. Als sie fort waren, zog die Mutter die Kinder an den Sarg, hieß sie vor demselben niederknieen und sagte.
»Betet, betet das Vaterunser. Ihr könnt noch nichts Anderes. Der liebe Gott weiß, wie es gemeint ist.«
Und sie selbst ergriff die Hand der Todten, lege die Stirn in den Schooß derselben und betete leise und innig. Aber mitten aus diesem stillen Gebete heraus ertönten zuweilen die halblauten, unwillkürlichen Worte:»Großer Gewinn – unser Loos – hunderttausend Gulden – reich – alle Noth zu Ende – –«
Die beiden Männer hatten kaum die Wasserstraße hinter sich, da blieb Herold stehen.
»Herr, ich kann nicht weiter,« sagte er; »es liegt zu schwer, zu schwer auf mir!«
»Sie haben ein Geheimniß?«
»Ja.«
»Werfen Sie es von sich! Theilen Sie es mir mit!«
»Ja, das will ich. Sie werden mich nicht unglücklich machen. Sie sind ein so gütiger Herr. Sie werden mir einen guten Rath ertheilen.«
»Sehr gern, wenn ich nur weiß, um was es sich handelt.«
»Sie sollen es erfahren. Wenn wir jetzt Anzeige machen, denken Sie da, daß der Collecteur arretirt wird?«
»Sofort.«
»Und der Jude auch?«
»Ja, auch.«
»Ach, da muß ich erst vorher zu ihm.«
»Warum?«
»Das kann ich Ihnen hier auf offener Straße nicht sagen. Die Leute würden es mir am Munde ablesen. Hier ist eine kleine, stille einsame Schänkwirthschaft. Gehen wir für einige Minuten da hinein, Herr Doctor.«
Zander stimmte gern bei. Die Gaststube war ganz leer. Nachdem Sie sich zwei Gläser Bier hatten geben lassen, konnten sie mit einander sprechen, ohne von Jemandem belauscht und beobachtet zu werden.
Und nun begann Herold sein Geständniß: seine Armuth, die Furcht, die entsetzliche Furcht vor der Erblindung, die Angst um die Zukunft, die Abhängigkeit von dem Juden, die Verlockung desselben und das endliche Gerathen in die Falle. Am Schlusse sagte er: »So, jetzt wissen Sie Alles! Nicht
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