Der verlorne Sohn
Wäschestücken herum.
»Dies ist er?« fragte der Beamte.
»Ja.«
»Wer sind diese Leute? Was wollen sie?« fragte der Alte. »Diesem da hast Du doch vorhin die Thür gewiesen!«
»Ich bin Staatsanwalt,« bekam er zur Antwort. »Ich komme, um mir Ihr Eigenthum anzusehen.«
Der Alte öffnete vor Erstaunen den Mund.
»Mein Eigenthum? Warum?«
»Weil es mich interessirt, zu wissen, was Sie besitzen. Gehört Ihnen Alles, was sich hier befindet?«
»Ja.«
»Wer hat den Schlüssel zu dieser Lade?«
»Ich natürlich.«
»Oeffnen Sie einmal!«
»Wozu?«
»Sie ist alt. Ich möchte gern wissen, ob vielleicht schon der Wurm hineingekommen ist.«
»Aber – oh – Herr Staatsanwalt!«
»Reden Sie nicht, sondern öffnen Sie!«
Das war so gebieterisch gesprochen, daß er sofort gehorchte.
»Ah, Kleider darin,« meinte der Beamte. »Und hier dieses kleine Behältniß – wie pflegt man es doch gleich zu nennen?«
»Es ist das Beikästchen.«
»Was haben Sie drin?«
»Verschiedene alte Schreibereien, Gevatterbriefe, Zeugnisse und ähnliche Sachen.«
»Machen Sie einmal auf!«
Der Alte gehorchte. Sein Sohn mußte sich auf den Rand des Bettes stützen, so schwach wurde ihm. Der Staatsanwalt nahm die Schreibereien heraus. Ganz unten lag der Wechsel. Er schlug ihn auseinander, las ihn, warf einen Blick des Erstaunens auf den Collecteur und sagte: »Sie wissen wohl von diesem Wechsel nichts?«
»Nein,« stammelte der Gefragte.
»Und auch Sie nicht?« wendete er sich an den Vater.
»Nein. Was ist das?«
»Ein Wechsel, lautend auf fünfzigtausend Gulden, acceptirt von Salomon Levi.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Aber er lag ja hier in Ihrer Lade.«
»Das kann ich nicht begreifen. Es muß ihn Jemand heimlich hineingelegt haben, Herr Staatsanwalt.«
»Er ist aber von Ihrem Sohn ausgestellt worden!«
»Das geht mich nichts an!«
Der Beamte wendete sich in strengem Tone an den Collecteur:
»Wollen Sie wirklich behaupten, daß Sie von diesem Documente gar nichts wissen?«
»Ich weiß wirklich nichts!«
»Machen Sie sich nicht lächerlich! Ich bin kein Kind, dem man das Unglaubliche glaublich machen kann. Gestehen Sie!«
»Ich kann nichts gestehen; ich weiß von nichts!«
»Also, Sie bleiben alle Beide dabei, nichts zu wissen?«
Auch der Alte leugnete.
»Nun, so verschlimmern Sie sich Ihre Lage. Mit dem geständigen Verbrecher pflegt man Rücksicht zu nehmen, halsstarrige Leugner aber haben auf Nachsicht keine Berechtigung!«
»Verbrecher?« stieß der Collecteur hervor.
»Ja.«
»Ich bin mir keines Verbrechens bewußt!«
»Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie es sind. Wenn Sie sich jetzt sehen könnten, würden Sie anders sprechen. Sie bilden eine Jammergestalt, der das Schuldbewußtsein deutlich auf der Stirn zu lesen ist.«
»Ich bin aber wirklich unschuldig.«
»Das werden Sie zu beweisen haben. Ich erkläre Sie Beide für verhaftet. Sie folgen mir jetzt nach dem Wohnzimmer!«
Das Wort ›Jammergestalt‹ trieb dem Collecteur das Blut nach den Schläfen. Er raffte sich auf, machte ein erzürntes Gesicht und sagte im Tone des Zornes:»Was? Sie wollen uns arretiren? Was fällt Ihnen ein! Wir haben nichts begangen, was dieses rechtfertigen könnte!«
»Machen Sie sich nicht lächerlich! Der Beweis Ihrer Schuld liegt in Gestalt dieses Wechsels hier in meinen Händen.«
»Was geht Sie dieser Wechsel an!«
»O, sehr viel!«
»Selbst wenn ich ihn ausgestellt hätte, haben Sie nicht das mindeste Recht daran. Legen Sie ihn in die Lade!«
»Nicht so vorlaut! Ich möchte denn doch gern wissen, wie der Jude Salomon Levi dazu kommt, einen Wechsel über eine so bedeutende Summe zu acceptiren.«
»Er ist mir nichts schuldig; ich habe mit ihm gar nichts zu thun; ich kenne diesen Wechsel nicht; er hat keinen Werth.«
»Das werde ich untersuchen. Kommen Sie!«
»Nein; ich bleibe. Ich kenne auch Sie nicht. Ich weiß nicht, mit welchem Rechte Sie hier ein Verhör anfangen und in unseren Möbels herumstöbern!«
»Ich habe Ihnen gesagt, wer ich bin!«
»Das kann Jeder! Beweisen Sie es!«
»Schön! Diesen Gefallen kann ich Ihnen thun, obgleich ich dabei bemerke, daß diese Renitenz nur zu Ihrem Schaden ausfallen wird. Hier, sehen Sie!«
Er zeigte ihm seine Legitimation. Der Collecteur aber machte eine abwehrende Handbewegung und sagte: »Das gilt nichts. Es hat Fälle gegeben, daß die größten Spitzbuben solche Legitimationen besaßen.«
»Ob es gilt oder nicht, das habe ich zu bestimmen, nicht aber
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