Der verlorne Sohn
Nutzen.«
»Was thue ich dann?«
»Du machst Dich von ihm los. Wir fahren dann mit dem nächsten Zuge wieder zurück und treffen uns auf dem Bahnhofe.«
Somit war die Sache abgemacht. Um drei Uhr befand Adolf sich auf dem Bahnhofe. Er löste sich ein Billet dritter Klasse und ging in das Wartezimmer. Dort saßen bereits viele Leute, unter denen es ganz unmöglich war, den Betreffenden herauszufinden. Aber Adolf vermuthete mit Recht, daß dieser ganz sicher dasselbe Coupé mit ihm aufsuchen werde. Und so geschah es auch.
Als das Zeichen gegeben wurde und Adolf eingestiegen war, kam zu denen, welche mit Platz genommen hatten, noch ein Mann, welcher ein Musikus zu sein schien. Er hatte eine große Glatze, trug eine Brille und brachte einen Violinkasten mit, welchem er große Sorgfalt widmete.
Er kam Adolf gegenüber zu sitzen, so daß dieser ihn genau zu beobachten vermochte. Der Blick des Polizisten fiel sofort auf den Zeigefinger der rechten Hand und siehe da, es war ganz der Finger des Agenten!
Nun betrachtete Adolf das Gesicht seines Gegenübers. Er mußte sich gestehen, daß der falsche Bart mit wirklicher Meisterschaft angebracht worden war.
Nachdem einige kleine Anhaltepunkte zurückgelegt worden waren, kam eine größere Station, an welcher der Zug mehrere Minuten zu halten hatte. Adolf stieg aus. Er war überzeugt, daß der Fürst aufpassen werde, und er hatte sich nicht getäuscht. Sie trafen am Büffet zusammen, wo der Letztere sofort fragte: »Wohl der Geiger?«
»Errathen!« meinte der Polizist verwundert.
»Das ist keine Kunst. Ich sah ihn einsteigen. Seine Haltung war eine so gezwungene, daß ich gleich erkannte, daß die Person imitirt sei. Hast Du ihn erkannt?«
»Ja. Der Agent ist es.«
»Er hat den Finger?«
»Ja. Das ist zu dumm!«
»Allerdings. Aber es fragt sich, ob nicht doch auch der Hauptmann da ist. Vielleicht in einem anderen Coupée.«
»Möglich kann es sein.«
»Wüßten wir, daß er nicht dabei ist, so könnten wir gleich hier zurückbleiben. Aber wir müssen es doch abwarten. Wenn Dich der Geiger auf dem Ankunftsbahnhofe anredet, so ist der Hauptmann nicht da. In diesem Falle ist uns die Expedition verdorben.«
Es läutete und sie stiegen wieder ein. Als sie das Ziel erreichten und ausgestiegen waren, blieb Adolf wartend stehen. Niemand kam. Aber neben ihm stand der Geiger, der ebenso that, als ob er Jemand erwarte. Aber als er sah, daß die Passagiere sich entfernten, so daß Niemand seine Worte hören konnte, sagte er: »Sie erwarten wohl Jemand, mein Herr?«
»Nein,« antwortete Adolf, »sondern ich glaubte, erwartet zu werden.«
»Von einem Bekannten?«
»Was geht das Sie an?«
»Vielleicht doch mehr, als es scheint. Ich erlaube mir, Sie zur That hier willkommen zu heißen!«
»Donnerwetter!« meinte der Polizist, scheinbar überrascht. »Sie sind es? Sie?«
»Ja, wenn Sie erlauben.«
»Sie sind also der Hauptmann?«
»Natürlich!«
»Aber warum diese Geige?«
»Die gehört zur Verkleidung. Aber wir können hier doch nicht stehen bleiben. Kommen Sie herein nach der Stadt!«
»Meinetwegen! Es ist noch zu früh zum Handeln. Was thun wir unterdessen?«
»Wir kneipen ein und machen ein Spielchen. Vorwärts!«
Sie gingen. Adolf bemerkte, daß er von dem Fürsten, welcher auf dem Perron stehen geblieben war, beobachtet wurde. Er zog also sein Taschentuch hervor, wischte sich das Gesicht und steckte es dann in die linke Tasche seines Rockschooßes. Das war das Zeichen, daß die heutige Expedition allerdings mißlungen sei.
Der Fürst überlegte, ob er gleich hier auf den nächsten Zug warten oder sich nach dem Gerichtsgebäude begeben solle, um mit dem Amtmanne über die beiden Schmiede zu sprechen. Da bemerkte er mehrere Personen, welche vor einem an die Ecke angeklebten Placate standen und dabei so augenfällig debattirten, daß ein wichtiges Ereigniß zu vermuthen war. Er ging hin und las:
»Heute früh elf Uhr sind die beiden aus Tannenstein gebürtigen Schmiede Wolf, Vater und Sohn, unter erschwerenden Umständen während des Verhöres aus dem Fenster des Verhörzimmers entsprungen. Auf die Ergreifung derselben wird hiermit ein Preis von 300 Gulden gesetzt. Signalement wie folgt.«
Nämlich am Vormittage bei Beginn der Expeditionszeit war der Amtmann zu dem Actuar gekommen, welchem die Untersuchung gegen die Schmiede anvertraut war, und hatte ihm unter finsterem Kopfschütteln ein Actenstück mehr hingeworfen als hingelegt.
»Ich habe Einsicht
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