Der verlorne Sohn
genommen,« sagte er. »Wie lange Zeit gedenken Sie diese Sache noch hinzuschleppen?«
Der Actuar war erschrocken; er antwortete:
»Entschuldigung! Ich glaube, nichts versäumt zu haben. Die Kerls gestehen eben nichts!«
»Das ist keine Entschuldigung. Sie haben ja Indizien genug in den Händen, mit denen Sie die Angeklagten förmlich erdrücken können!«
»Sie sagen, daß sie sich zum Scherze verkleidet hätten. Was kann ich dagegen thun?«
»Pah! Es giebt in den Aussagen der Beiden genug Punkte, in denen sie sich widersprechen. Das sind Handhaben, bei denen Sie sie fassen müssen. Warum confrontiren Sie die Beiden nicht?«
»Ich glaubte die Untersuchung noch nicht reif genug dazu. Es kann zu nichts führen.«
»In der jetzigen Weise bringen Sie die Reife niemals zu Stande. Ich hoffe, daß das anders wird!«
Nach diesen Worten hatte sich der Amtmann entfernt. Der Actuar war überzeugt, seine Pflicht gethan zu haben. Er schritt erzürnt und beleidigt im Zimmer auf und ab, that einige Blicke in die Acten und murmelte dann vor sich hin:»Unsinn! Confrontation! Dadurch verrathe ich doch nur dem Einen die Aussagen des Anderen. Aber, er will es, und so will auch ich.«
Er zog an der Glocke und befahl, die beiden Schmiede vorzuführen. Der Amtsdiener fragte:
»Beide zugleich, Herr Actuar?«
»Natürlich!«
»Ist das nicht gefährlich?«
»Warum sollte es gefährlich sein?«
»Die Kerls sind verwegen!«
»Pah! Haben sie sich denn schlecht geführt?«
»Nein. Sie sind im Gegentheil lammfromm gewesen. Aber gerade solchen Folgsamen ist nicht zu trauen. Soll ich vielleicht mit hereinkommen?«
»Nein. Sie wissen ja, daß während der Voruntersuchung über die Aussage der Gefangenen nichts verlauten darf, und darum –«
»Ich verrathe nichts!«
»Das weiß ich. Aber ich brauche Sie nicht. Uebrigens habe ich ja, wie ein jeder anderer Untersuchungsbeamter, hier meinen Revolver.«
»So werde ich mich wenigstens in der Nähe der Thür aufhalten. Sollte etwas geschehen, so rufen Sie!«
Er ging, und der Actuar zuckte lächelnd die Achsel. Dennoch aber nahm er den Revolver aus dem Kasten und legte ihn neben das aufgeschlagene Actenheft hin.
Der alte Schmied war der Erste, welcher in das Wartezimmer gebracht wurde. Er schritt sofort auf die wohlbekannte Thür zu, hinter welcher er den Actuar wußte, aber der Amtsdiener sagte: »Noch nicht. Ich habe erst Ihren Sohn zu holen. Setzen Sie sich einstweilen da auf die Bank!«
Der Alte gehorchte. Kein Zug seines Gesichtes bewegte sich; aber als er sich setzte, dehnte und reckte er seine Glieder, als ob er sich überzeugen wolle, ob sie noch kräftig genug seien zu dem, was er sich im Augenblicke vorgenommen hatte.
Als sein Sohn gebracht wurde, blieb dieser bei in Anblicke des Vaters überrascht stehen.
»Du auch hier« fragte er.
»Ja,« brummte der Alte, ohne aufzusehen.
»Sie sollen confrontirt werden,« sagte der Diener mit wichtigem Tone. »Treten Sie jetzt ein!«
Er öffnete die Thür. Dabei drehte er ihnen nur einen Augenblick lang den Rücken zu; aber dieser Moment genügte vollständig. Ein gegenseitiger schneller Aufblitz der Augen und die Beiden wußten, was geschehen werde. Als sie eintraten, war ihr Aussehen so unbefangen und demüthig, daß der Actuar dem Amtsdiener durch ein Achselzucken andeutete, für wie ungerechtfertigt er seine vorhin ausgesprochene Besorgniß halte.
Dennoch aber postirte sich der Letztere draußen an die Thür, um beim geringsten Zeichen, daß der Untersuchende sich in Gefahr befinde, diesem zu Hilfe zu eilen. Leider aber durfte er seine anderen Obliegenheiten nicht versäumen, und so kam es, daß er seinen Platz sehr bald verlassen mußte.
Später stellte er sich freilich wieder hin. Er hörte nicht das mindeste Auffällige; auffällig fand er nur die tiefe Stille, welche da drinnen herrschte. Er hörte kein Wort, während er doch vorhin die Stimme des Actuars und auch diejenigen der Antwortenden gehört hatte, wenn es ihm auch unmöglich gewesen war, die Worte selbst zu verstehen.
Dies kam ihm je länger desto mehr verdächtig vor. Sollte er öffnen? Das durfte er nicht. Aber als jetzt zufälliger Weise der Amtswachtmeister in das Wartezimmer trat, sagte er zu diesem: »Herr Wachtmeister, geben Sie mir einen Rath. Die beiden Schmiede befinden sich seit einer Stunde zur Confrontation bei dem Herrn –«
»Das weiß ich,« fiel ihm der Vorgesetzte in die Rede. »Was ist’s mit ihnen?«
»Ich höre sie nicht
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