Der verlorne Sohn
Aufregung.
»Also fort!«
»Wohin?«
»Zur Bergstraße hinaus, in den Wald.«
»Gut! Aber langsam, damit es nicht auffällt.«
Es war um die Zeit, in welcher die Bewohner der kleinen Stadt mit dem Mittagsessen beschäftigt waren. Die Gassen waren leer. Die Bergstraße war bald erreicht und nicht lang. Bereits kaum zwei Minuten nach dem Sprunge befanden sich die Beiden vor der Stadt.
»Und wohin nun?« fragte der Sohn.
»Zum Bergwirth. Er war unser Hehler, er muß uns helfen. Aber nicht hinein zu ihm. Es könnten Bekannte da sein. Wir müssen durch den Wald, bis wir uns seiner Schänke gegenüber befinden.«
»Wie bekommen wir ihn heraus?«
»Er kennt doch den Pascherpfiff!«
»Gut! Aber wir wollen uns theilen.«
»Warum?«
»Da beachtet man uns weniger, wenn man uns ja bemerken sollte. Eile Du da links in’s Gebüsch. Ich gehe noch ein Stück langsam nach dem Gehölze rechts. Hinter der Straßenkrümmung kommen wir wieder zusammen.«
Das wurde gemacht.
Wer jetzt den jungen Wolf so langsam dahinschlendern sah, der konnte unmöglich denken, daß er ein flüchtiger Mörder sei, der soeben aus der Gefangenschaft entsprungen war.
Da, wo die Straße eine andere Richtung annahm und nun eine Entdeckung von der Stadt aus unmöglich machte, trafen sie wieder aufeinander. Hier gab es Wald.
»Jetzt im Galopp nach der Schänke!« meinte der Sohn.
»Man wird unsere Spuren sehen.«
»Nein. Unter den Tannen giebt es keinen Schnee. Er ist zum Glück selbst im Freien nicht sehr hoch.«
Sie rannten in höchster Eile im Walde parallel mit der Straße dahin, bis drüben auf der andern Seite der letzteren sich ein Gebäudecomplex zeigte, neben dessen Vorderthür einige Pferdekrippen standen. Ueber dieser Thür waren die Worte »Zur Bergschänke« zu lesen.
Der alte Schmied steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen nicht sehr lauten, aber durchdringenden und eigenthümlich trillernden Pfiff aus. Bereits nach kurzer Zeit wurde drüben die Thür geöffnet und der Wirth trat heraus. Er blickte sich forschend um.
Wolf pfiff abermals, aber viel leiser als vorher. Da kam der Wirth über die Straße herüber geschritten. Er trat zwischen die Bäume herein.
»Tausend Teufel! Wolf!« rief er erschrocken.
»Brüll’ nicht so!« antwortete der Alte.
»Seit Ihr ausgerissen?«
»Ja. Du mußt uns helfen.«
»Wie denn?«
»Wir müssen nach der Hauptstadt.«
»Wie seid Ihr denn entkommen?«
»Das zu erzählen, ist jetzt keine Zeit. Man wird uns gleich auf den Fersen sein.«
»Na ja, also schnell. Ich bin ganz froh, daß Ihr frei seid. Wir steckten in fürchterlicher Angst, daß Ihr schwatzen würdet. Dann wäre es um uns geschehen gewesen!«
»Fällt uns nicht ein. Sind Deine Pferde daheim?«
»Ja.«
»Spanne rasch an!«
»Hm! Eine verteufelte Geschichte! Gut, daß meine Alte nicht daheim ist. Der würde die Sache auffällig sein.«
»Nimm viel Stroh mit, damit wir uns verstecken können; bringe auch zwei Hüte oder Mützen mit, auch einiges Geld und Proviant. In der Residenz bezahlen wir.«
»Wollt Ihr denn hier warten?«
»Wie lange dauert es?«
»Eine halbe Stunde immerhin.«
»So lange Zeit können wir uns unmöglich herstellen!«
»So lauft fort und sagt, wo ich Euch treffen soll.«
»Hinter dem nächsten Dorfe, wenn Du bei der Windmühle vorüber bist, im Walde.«
»So macht, daß Ihr fortkommt!«
Sie gingen, und er kehrte in die Stube zurück. Dort saß sein Sohn und fragte neugierig:
»Nicht wahr, es war der Pascherpfiff?«
»Ja. Du hattest richtig gehört.«
»Wer war es denn?«
»Ein Bote von drüben herüber.«
»Endlich wieder einmal! Wir haben lange genug feiern müssen. Giebt’s ein Geschäft?«
»Ja. Ich soll etwas abholen. Wir müssen sofort einspannen. Gehe in den Stall. Schirre die Pferde ein!«
»Das schwere Geschirr?«
»Das leichte. Ich nehme den Rollwagen.«
Der Sohn begab sich nach dem Stalle, und der Vater ging nach dem Hofe, wo der Rollwagen stand. Er steckte einige Strohbündel hinein, that ein paar Decken hinzu und zog ihn zum Thore hinaus. Er hatte Einiges an dem Wagen herum zu wischen und zu putzen und beachtete da die Straße nicht. Darum erschrak er fast, als er angeredet wurde.
»Guten Morgen, Bergwirth!«
Er drehte sich um. Vor ihm stand ein Gensdarm, welcher öfters bei ihm einkehrte.
»Guten Morgen!« antwortete er. »Auch auf den Beinen?«
»Ja. Haben Sie Gäste drin?«
»Keinen Menschen.«
»Auch nicht gehabt?«
»Noch nicht.«
»Seit welcher Zeit
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