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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die Tasche und zog einen geladenen Revolver hervor, welchen er dem Baron zeigte. Diesem Letzteren entfuhr in der inneren Aufregung, in welcher er sich befand, die mehr als unvorsichtige Frage: »Aber, wenn nun ich der Hauptmann wäre?«
    Der Amerikaner warf ihm einen belustigten Blick zu und antwortete lachend:
    »Sie? Spaßvogel!«
    »Nun, wäre das etwa unmöglich?«
    »Ja, absolut!«
    »Wieso?«
    »Sie können der Hauptmann nicht sein.«
    »Sagen Sie mir doch den Grund!«
    »Der Hauptmann ist doch von Adel, er ist Baron?«
    »Ja.«
    »Nun, nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie sehen erstens nicht aus wie so ein berüchtigter Spitzbube, und zweitens haben Sie auch gar nichts Adeliges an sich.«
    »Sehr verbunden für das Compliment!«
    »O bitte! Eigentlich ist es allerdings ein Compliment, daß ich Sie nicht für einen so berüchtigten Menschen halte.«
    »Nun, wofür oder für was halten Sie mich denn?«
    »Hm, für so eine Art Forstschreiber.«
    »Errathen!«
    »Nicht wahr? Ja, ich habe einen scharfen Blick! Sie befinden sich also wohl amtlich hier im Walde?«
    »Ja. Wir wollen da in der Nähe einen Schlag beginnen. Ich warte auf den Förster, mit welchem ich den Ertrag zu berechnen habe.«
    »Das thut mir leid.«
    »Warum?«
    »Ich finde Gefallen an Ihnen. Es wäre mir lieb gewesen, wenn wir eine Zeit lang gleichen Weg gehabt hätten. Na, das ist aber nicht zu ändern. Trinken wir lieber noch einmal!«
    Und als Jeder einen Schluck gethan hatte, fuhr der Amerikaner in munterer Laune fort:
    »Sie wollten vorhin wohl sehen, ob ich mich fürchte?«

    »Wann?«
    »Als Sie in’s Bockshorn bliesen und zu mir sagten, daß Sie der Hauptmann sein könnten.«
    »Das war nur so ein Scherz.«
    »O, ich hätte mir auch nichts daraus gemacht, wenn es Ernst gewesen wäre. Darauf können Sie sich verlassen.«
    »Was hätten Sie denn gemacht?«
    »Ich hätte Ihnen entweder eine Kugel durch den Kopf gejagt – –«
    »Oder?«
    »Oder Sie einfach gefangen genommen.«
    »Mich? Wie hätten Sie dies wohl angefangen?«
    »Na, man hat ja seine Knochen und Muskeln! Ein amerikanischer Goldsucher nimmt es mit einem Forstschreiber doch ganz gewißlich auf!«
    »Aber in diesem Falle wäre ich doch nicht Forstschreiber gewesen.«
    »Hm, ja! Sie wären Baron gewesen. So ein adeliger Herr aber pflegt auch nicht viel Mark in den Knochen zu haben. Zu fürchten brauchte ich mich also auf keinen Fall. Uebrigens dürfen Sie nicht denken, daß ich so unvorsichtig bin, mein ganzes Vermögen bei mir zu tragen.«
    »Ah so!«
    »Ich habe nur das Papierene bei mir. Alles Andere, ganze Kisten und Kasten voller Raritäten, Felle, Goldkörner und was ich mir sonst gesammelt habe, ist noch unterwegs.«
    »Wohl nach Langenstadt zu Ihrem Oheim?«
    »Versteht sich.«
    »Weiß der davon?«
    »Von diesen Kisten weiß er nichts.«
    »Aber daß Sie kommen?«
    »Das weiß er. Ich habe es ihm von New-York aus mit dem vorher abgegangenen Schiffe geschrieben.«
    »Standen Sie vorher mit ihm in Briefwechsel?«
    »Ich selbst habe nie geschrieben; ich war ja ganz und gar wenig daheim. Es ist überhaupt sehr wenig correspondirt worden, da keiner der beiden Brüder Freund vom vielen Schreiben war. Vater wird vier oder fünf Briefe erhalten haben; diese hat er beantwortet. Weiter ist wohl keine Tinte verbraucht worden.«
    »Ist Ihr Oheim wohlhabend?«
    »Ich weiß es nicht, glaube es aber auch nicht. Als Vater auswanderte, waren beide Brüder arm; der Onkel wird es hier höchstwahrscheinlich zu nichts gebracht haben.«
    »Haben Sie ihm denn nie Etwas geschickt?«
    »Nein.«
    »Ah! Kein Geschenk, da Sie so reich waren!«
    »Er hat uns nie mitgetheilt, daß er Etwas braucht. In Amerika ist man nicht so mittheilungsselig wie hier. Uebrigens werde ich doch nun erfahren, ob und in welcher Weise ich ihm nützlich sein kann.«
    »Hat er Kinder?«
    »Ja. Er hat – – ah, ich habe wahrhaftig vergessen, wie viele Nachkommen er hat. Ich muß doch gleich einmal nachsehen. Es ist doch, wenn ich zu ihm komme, eine Blamage, wenn ich so wenig unterrichtet bin.«
    »Ah, Sie haben wohl seine Briefe?«
    »Ja. Hier.«
    Er zog eine Brieftasche hervor und öffnete sie. Mehrere Fächer derselben waren dick voller Banknoten; in dem einen steckten vier oder fünf Briefe. Er öffnete einen derselben und las ihn.
    »Ja,« sagte er, »da steht es! Ich theilte ihm natürlich mit, daß mein Vater, sein Bruder, gestorben sei. Darauf schrieb er mir diesen Brief. Dies ist der einzige, den ich für

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