Der verlorne Sohn
Schinkenbrode theilen wir,« sagte er. »Den Wein müssen wir leider aus der Flasche trinken, denn ich bin nicht mit einem Glase versehen.«
Er sagte das so jovial und gutherzig, daß der Baron sich immer sicherer zu fühlen begann. Die Brode wurden zwischen ihnen getheilt, und als die Flasche geöffnet war, bemerkte der Baron, daß der Fremde von der besten und wohl auch theuersten Marke gekauft hatte.
»Danke!« sagte er, indem er die Flasche zurückgab. »Dieser Wein ist nicht von hier hüben.«
»Nein, sondern von drüben.«
»So haben Sie ihn über die Grenze gebracht?«
»Ja.«
»Aha! Hm!«
»Wie, aha? Meinen Sie, daß ich ihn gepascht habe?«
»Warum nicht?«
»Das habe ich nicht nöthig. Würde sich auch nicht verlohnen, eine einzelne Flasche.«
»Ich dachte, weil die Steuermarke nicht aufgeklebt ist.«
»Sie ist wieder abgefallen; sie muß da im Tornister liegen.«
»Dann Entschuldigung!«
»O, bitte!«
Der Baron hatte wegen des Paschens auf den Strauch geschlagen, um zu erfahren, ob sein gegenwärtiger Kamerad vielleicht ein Mann sei, mit welchem sich Etwas anfangen lasse. Jetzt fuhr er, um das Gespräch nicht stocken zu lassen, fort: »Sie berauben sich meinetwegen Ihres Mundvorrathes.«
»Schadet nichts.«
»Dann müssen Sie aber darben!«
»Das hoffe ich doch nicht. Wir sind ja nicht in der Wüste Sahara oder Gobi!«
»Aber im hohen Gebirge!«
»Na, ist das so gefährlich?«
»Gefährlich gerade nicht, aber weit abgelegen.«
»Ein Stück Brod wird wohl zu erhalten sein!«
»Hier in der Nähe nicht.«
»So! Wie weit hat man bis zum nächsten bewohnten Orte von hier aus zu gehen?«
»Anderthalb Stunden.«
»Na, da ist’s ja nicht zum Verhungern.«
»Ob aber Sie den Weg dahin finden würden, daß weiß ich nicht so genau.«
»Ich auch nicht,« lachte der Fremde.
»Wie kommt es denn, daß Sie als Amerikaner, der noch niemals in dieser Gegend gewesen ist, nicht auf Eisenbahn oder Chaussee bleiben, sondern gerade den unsichern, dichten Gebirgswald wählen.«
»Unsicher? Giebt es hier Räuber? Vielleicht einen Rinaldo Rinaldini oder einen Josef Schobri?«
»Glücklicher Weise nicht.«
»Warum sprachen Sie da von Unsicherheit?«
»Ich meinte damit nur die Leichtigkeit, sich zu verirren.«
»Ah pah! Ein Amerikaner und sich verirren!«
»Sie sind hier doch nicht bekannt!«
»Was thut das? Wo Nord und Süd ist, das weiß man. Wenn ich mich stets nach Norden halte, komme ich aus den Bergen heraus und in die bewohnte, volkreiche Gegend. Also von einem Verirren kann gar keine Rede sein! Doch wegen des Räuberhauptmannes darf man doch ein Wort sprechen.«
»Wieso?«
»Das wissen Sie nicht?«
»Was meinen Sie denn?«
»Na, die Grenze ist ja mit Militairposten besetzt!«
»Ach so, wegen des Hauptmannes!«
»Ja. Der muß doch ein ganz verdammter Kerl sein!«
»Was man hört, ja.«
»Man hat mir drüben viel erzählt von ihm. Als ich an dem Grenzpfahle vorüberwollte, wurde ich festgehalten. Hätte ich nicht gar so gute Legitimationen besessen, wahrhaftig, ich wäre arretirt worden.«
»Was Sie sagen! Aber warum denn?«
»Ich soll eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm haben.«
»Hm! Was man auch alles Ähnlichkeit nennt!«
»Ganz recht! Danke für die Ehre!«
Dem Baron war ein Gedanke gekommen. Er betrachtete sich seinen Nachbarn genauer und sagte dann:
»Also wirklich nur Ihre guten Papiere haben Sie vor der Arretur gerettet?«
»Ja.«
»Also Ihr Paß?«
»Ja. Der Paß, das Vereinigtenstaatenbürgerzeugniß und das Patent als Capitain der amerikanischen Miliz.«
»Ah, also Capitain? Mein Compliment!«
»Danke sehr! Ein Capitain der Vereinigtenstaatenmiliz hat gar nichts zu bedeuten. Da haben wir noch ganz andere Meriten, hier und hier!«
Dabei klopfte er auf den Tornister und auf die linke Seite seines Rockes, da, wo man in der Brusttasche das Portefeuille zu verbergen pflegt.
»Aha!« nickte der Baron. »Sie sind wohlhabend!«
»Nicht nur das, sondern reich,« antwortete der Amerikaner mit einer gewissen bescheidenen Selbstzufriedenheit.
»So reisen Sie jetzt zum Vergnügen?«
»Ja, und eigentlich doch nicht.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich will mich hier niederlassen.«
»Ach so! Wohl in Ihrer Heimath?«
»Ja, wenn es möglich ist.«
»Darf ich erfahren, wo dies ist?«
»Geboren bin ich in dem kleinen Gebirgsstädtchen Langenstadt. Kennen Sie es?«
»Ja. Wollen Sie direct dorthin?«
»Ja. Wie weit ist es von hier?«
»Zu Fuß zehn Stunden.«
»Ach, so
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