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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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ich leise.
    Er sprang so unvermittelt auf, dass wir hoch schreckten. Die roten Stangen unter dem silbrigen Klebeband waren gut zu sehen. Er stieß den Stuhl zurück. »Was ist mit den Kliniken? Wir haben diese kleinen Kliniken, wo Ärzte -gute, anständige Menschen, die einmal eine Menge Geld verdient haben - die Kranken umsonst behandeln. Sie kriegen keinen Cent dafür. Früher hat der Staat Zuschüsse für die Miete, für Medikamente und so weiter gezahlt. Aber jetzt ist Newt Gingrich der Staat, und es gibt kein Geld mehr. Wie viel haben Sie für Kliniken gespendet?«
    Rafter sah mich an, als sollte ich etwas unternehmen, als sollte ich vielleicht plötzlich etwas in den Unterlagen entdecken und rufen: »Hier! Sehen Sie sich das an! Wir haben eine halbe Million Dollar für Kliniken und Suppenküchen gespendet!«
    Das war genau das, was Rafter getan hätte. Ich würde es nicht tun. Ich wollte schließlich nicht erschossen werden. Mister war ein ganzes Stück schlauer, als er aussah.
    Während ich in den Unterlagen blätterte, trat Mister ans Fenster und spähte durch die Jalousie. »Überall Bullen«, sagte er so leise, dass wir es gerade noch hören konnten. »Und jede Menge Krankenwagen.«
    Dann wandte er sich von dieser Szenerie ab, schlurfte am Tisch entlang und blieb vor seinen Geiseln stehen. Sie ließen ihn nicht aus den Augen, und ihr besonderes Interesse galt den Dynamitstangen. Langsam hob er die Pistole und zielte aus einem Meter Entfernung auf Colburns Nase.
    »Wie viel haben Sie den Kliniken gespendet?«
    »Nichts«, sagte Colburn, kniff die Augen zusammen und schien in Tränen ausbrechen zu wollen. Mein Herz stand still, ich hielt den Atem an.
    »Wie viel für die Suppenküchen?«
    »Nichts.«
    »Wie viel für die Notunterkünfte?«
    »Nichts.«
    Anstatt Colburn zu erschießen, zielte er auf Nuzzo und wiederholte die Fragen.
    Nuzzos Antworten waren dieselben wie Colburns, und Mister ging weiter, zielte, stellte dieselben Fragen, bekam dieselben Antworten. Zu unserem Leidwesen erschoss er auch Rafter nicht.
    »Drei Millionen Dollar«, sagte Mister mit tiefer Verachtung, »und nicht einen Cent für die Kranken und Hungrigen. Was sind Sie doch für jämmerliche Menschen!«
    Wir fühlten uns jämmerlich. Und mir wurde klar, dass er uns nicht töten würde.
    Woher sollte ein Penner Dynamit haben? Und wer würde ihm beibringen, wie man eine Bombe baute?
    Gegen Abend sagte er, er sei hungrig, und befahl mir, den »Boss« anzurufen und Suppe von der Methodist Mission, Ecke L Street und 17th in Northwest, holen zu lassen. Die täten mehr Gemüse in die Suppe, sagte Mister, und das Brot sei nicht so altbacken wie in den meisten anderen Suppenküchen.
    »Haben Suppenküchen einen Lieferservice?« fragte Rudolph ungläubig. Die Frage hallte durch den Raum.
    »Tun Sie einfach, was er sagt«, fuhr ich ihn an. »Und lassen Sie zehn Portionen kommen.« Mister befahl mir, aufzulegen und das Telefon wieder stumm zuschalten.

    Ich sah geradezu vor mir, wie unsere Freunde und eine Abteilung Polizisten im dicksten Feierabendverkehr quer durch die Stadt rasten und in das friedliche kleine Haus der Mission einfielen, wo zerlumpte Obdachlose zusammengesunken über ihren Suppenschüsseln saßen und sich fragten, was zum Teufel hier eigentlich los war. Zehn Portionen zum Mitnehmen, mit extra viel Brot.
    Als wir wieder das Knattern des Hubschraubers hörten, ging Mister abermals zum Fenster. Er spähte hinaus, trat einen Schritt zurück, zupfte an seinem Bart und überdachte die Situation. Was für eine Befreiungsaktion hatten sie im Sinn, dass dafür ein Hubschrauber benötigt wurde? Vielleicht wollte man damit die Verwundeten abtransportieren.
    Umstead war seit einer Stunde unruhig, sehr zum Unwillen von Rafter und Malamud, die an ihn gefesselt waren. Schließlich hielt er es nicht mehr aus.
    »Äh, entschuldigen Sie, Sir, aber ich muss mal, äh, für kleine Jungs.«
    Mister zupfte weiter an seinem Bart. »Für kleine Jungs. Was ist für kleine Jungs?«
    »Ich muss mal austreten, Sir«, sagte Umstead wie ein Drittklässler. »Ich kann’s nicht mehr aushaken.«
    Mister sah sich im Raum um. Sein Blick fiel auf eine Porzellanvase, die unschuldig auf einem niedrigen Tischchen stand. Mit einem Wink seiner Pistole befahl er mir, Umstead loszubinden.
    »Für kleine Jungs ist da drüben«, sagte Mister.
    Umstead nahm die Blumen aus der Vase, kehrte uns den Rücken und pinkelte ausgiebig, während wir den Boden betrachteten. Als er

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