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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Erdgeschoss, so weit wie möglich entfernt von Mister, saßen die Angehörigen und Freunde. Dutzende von Mitarbeitern und Kollegen standen in den Büros und auf den Gängen und warteten auf unsere Befreiung. Als sie uns sahen, begannen sie zu jubeln.
    Weil ich blutbespritzt war, wurde ich in einen Fitnessraum im Untergeschoss gebracht. Er gehörte der Kanzlei und wurde von sämtlichen Anwälten buchstäblich ignoriert. Wir waren zu beschäftigt, um uns fit zu halten, und jeder, der an einem der Geräte erwischt wurde, bekam mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehr Arbeit auf den Tisch.
    Sogleich kümmerten sich Ärzte um mich. Leider war meine Frau nicht unter ihnen.
    Sobald sie sich davon überzeugt hatten, dass das Blut nicht mein eigenes war, ließ ihre Betriebsamkeit nach. Sie machten eine Routineuntersuchung. Mein Blutdruck war hoch, die Pulsfrequenz ebenfalls. Sie gaben mir eine Tablette.
    Am meisten sehnte ich mich nach einer Dusche, doch ich musste zehn Minuten lang auf einem Tisch liegen, während sie meinen Blutdruck beobachteten.

    »Stehe ich unter Schock?« fragte ich.
    »Wahrscheinlich nicht.«
    Ich fühlte mich aber so. Wo war Claire? Ich war sechs Stunden lang mit einer Pistole bedroht worden, mein Leben hatte an einem seidenen Faden gehangen, und sie hatte es nicht einmal für nötig befunden, herzukommen und mit den anderen Angehörigen zu warten.
    Ich duschte lange und heiß. Ich wusch mir dreimal mit viel Shampoo die Haare, und danach blieb ich eine Ewigkeit lang einfach stehen und ließ das Wasser abtropfen. Die Zeit stand still. Nichts war wichtig. Ich war am Leben, ich atmete, ich dampfte.
    Ich zog den sauberen und viel zu großen Jogginganzug eines Kollegen an und ging wieder zu dem Tisch, um mir noch einmal den Blutdruck messen zu lassen. Polly, meine Sekretärin, kam herein und umarmte mich lange. Das hatte mir sehr gefehlt.
    In ihren Augen standen Tränen.
    »Wo ist Claire?« fragte ich sie.
    »Wir versuchen, sie zu erreichen. Ich habe im Krankenhaus angerufen.«
    Polly wusste, dass von unserer Ehe nicht mehr viel übrig war.
    »Ist bei Ihnen alles in Ordnung?« fragte sie.
    »Ich glaube schon.«
    Ich dankte den Ärzten und verließ den Fitnessraum. Auf dem Gang wartete Rudolph.
    Er schloss mich unbeholfen in die Arme und äußerte das Wort »Glückwunsch«, als hätte ich irgend etwas besonderes geleistet.
    »Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie morgen kommen«, sagte er. Glaubte er, ein freier Tag würde alle meine Probleme lösen?
    »Über morgen hab ich noch gar nicht nachgedacht«, antwortete ich.
    »Sie brauchen ein bißchen Ruhe«, fügte er hinzu, als hätten die Ärzte vergessen, es zu sagen.
    Ich wollte mit Barry Nuzzo sprechen, aber die anderen Geiseln waren bereits fort. Abgesehen von ein paar Druckstellen an den Handgelenken waren alle unversehrt geblieben.
    Die Verluste beschränkten sich auf ein Minimum, die Guten hatten gesiegt und lächelten stolz, und so kehrte die Kanzlei Drake & Sweeney bald zum Tagesgeschäft zurück. Die meisten Anwälte und Mitarbeiter hatten nervös im Erdgeschoss gewartet, möglichst weit entfernt von Mister und seiner Bombe. Polly hatte meinen Mantel mitgebracht. Ich zog ihn über den zu großen Jogginganzug.
    Meine Slipper passten nicht dazu, aber das war mir egal.
    »Draußen sind ein paar Reporter«, sagte Polly.
    Ach, ja, die Medien. Was für eine Story! Das hier war keine Feld-, Wald- und Wiesen-Schießerei unter Kollegen - hier hatte ein verrückter Obdachloser einen Haufen Rechtsanwälte als Geiseln genommen.
    Nur dass sie ihre Story nicht kriegten. Den Rechtsanwälten war kein Haar gekrümmt worden, der Finsterling hatte eine Kugel in den Kopf bekommen, die Bombe hatte nur leise gezischt, als ihr Besitzer zu Boden gegangen war. Ach, wäre das schön gewesen! Ein Schuss, eine Explosion, ein weißer Blitz, splitternde Fenster, abgerissene Arme und Beine auf der Straße, und alles festgehalten von der Kamera von Channel Nine - der Aufmacher für die Abendnachrichten.
    »Ich fahre Sie nach Hause«, sagte Polly. »Kommen Sie.«

    Ich war sehr dankbar dafür, dass mir jemand sagte, was ich tun sollte. Meine Gedanken waren langsam und unbeholfen - ein Standfoto nach dem anderen, ohne Konzept, ohne Handlung, ohne Schauplatz.
    Wir verließen das Gebäude durch einen Nebenausgang. Die Nachtluft war kalt, und ich atmete ihren süßen Duft ein, bis meine Lungen schmerzten. Während Polly ihren Wagen holte, wartete ich an der Ecke des

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