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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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endlich fertig war, befahl Mister uns, den Konferenztisch ans Fenster zu rücken. Er war sechs Meter lang und, wie die meisten Möbel bei Drake & Sweeney, aus massivem Walnussholz.
    Gemeinsam - ich am einen Ende, der ächzende Umstead am anderen - gelang es uns, den Tisch Zentimeter für Zentimeter um etwa zwei Meter zur Seite zu schieben, bis Mister sagte, das sei genug. Dann befahl er mir, Malamud und Rafter aneinander zu fesseln. Umstead blieb frei. Den Grund dafür würde ich nie verstehen.
    Dann mussten sich die sieben gefesselten Geiseln mit dem Rücken zur Wand auf den Tisch setzen. Niemand wagte zu fragen, warum, aber ich nahm an, dass sie ein Schutzschild gegen Scharfschützen sein sollten. Später erfuhr ich, dass die Polizei welche auf dem Nachbargebäude postiert hatte. Vielleicht hatte er sie bemerkt.
    Nachdem sie fünf Stunden gestanden hatten, waren Rafter und die anderen Kollegen froh, sich setzen zu dürfen. Umstead und ich mussten uns auf Stühle setzen, während Mister am Kopfende des Tisches Platz nahm. Wir warteten.
    Das Leben auf der Straße erzog offenbar zur Geduld. Er schien es gewohnt zu sein, lange Zeit schweigend dazusitzen, den Kopf vollkommen reglos, die Augen hinter der Sonnenbrille verborgen.
    »Wer sind die Zwangsvollstrecker?« murmelte er vor sich hin. Er wartete ein paar Minuten und sagte es noch einmal.
    Wir sahen einander verwirrt an und hatten keine Ahnung, was er eigentlich meinte. Er schien auf eine Stelle auf dem Tisch zu starren, nicht weit entfernt von Colburns rechtem Fuß.
    »Sie tun nicht nur nichts für die Obdachlosen, Sie helfen auch noch, wenn es darum geht, sie auf die Straße zu setzen.«
    Natürlich beeilten wir uns zu nicken - schließlich sangen wir alle vom selben Blatt. Wenn er uns beschimpfen wollte, waren wir gern bereit, es über uns ergehen zu lassen.
    Unser Essen kam um kurz vor sieben. Man klopfte an die Tür. Mister befahl mir, Rudolph anzurufen und die Polizei zu warnen, er werde einen von uns töten, wenn draußen jemand zu sehen oder zu hören sei. Ich erklärte Rudolph diesen Punkt besonders ausführlich und betonte, man solle keinen Befreiungsversuch unternehmen. Wir seien dabei zu verhandeln.
    Rudolph sagte, er verstehe vollkommen.
    Umstead ging zur Tür, entriegelte sie und sah Mister fragend an. Der stand hinter ihm und hielt die Pistole zwanzig Zentimeter von seinem Kopf entfernt.
    »Öffnen Sie ganz langsam die Tür«, sagte Mister.
    Ich war ein, zwei Meter hinter Mister, als die Tür aufschwang. Das Essen stand auf einem kleinen Wagen, wie ihn die Hilfskräfte verwendeten, um die gewaltigen Papiermengen, die wir erzeugten, zu transportieren. Ich sah vier große Plastikbehälter mit Suppe und eine braune Papiertüte voller Brot. Ich weiß nicht, ob auch etwas zu trinken dabei war. Das sollten wir nie erfahren.
    Umstead trat einen Schritt vor, packte den Wagen und wollte ihn gerade in den Raum ziehen, als ein Schuss krachte. Ein Scharfschütze hatte sich zwölf Meter entfernt hinter dem Bücherschrank neben Madame Deviers Schreibtisch postiert und bekam die Gelegenheit zum Schuss, auf die er gewartet hatte. Als Umstead sich vorbeugte, um den Wagen zu ziehen, war Misters Kopf für den Bruchteil einer Sekunde ungedeckt und die Kugel unterwegs.
    Ohne einen Laut taumelte Mister zurück. Blut und noch etwas anderes spritzte mir ins Gesicht. Ich dachte, ich sei ebenfalls getroffen und schrie vor Schmerzen.
    Umstead brüllte etwas in der Halle. Die anderen sieben sprangen vom Tisch, als hätte man sie mit kochendem Wasser begossen. Sie schrien und zogen und zerrten einander zur Tür. Ich lag auf den Knien, hielt mir die Augen zu und wartete auf die Explosion des Dynamits. Dann sprang ich auf und rannte fort von diesem Durcheinander, zur anderen Tür. Ich entriegelte sie und riß sie auf. Als ich einen letzten Blick auf Mister warf, lag er zuckend auf einem unserer teuren Orientteppiche. Seine Arme waren ausgestreckt, und keine seiner Hände war in der Nähe des roten Drahtes.
    Auf dem Gang wimmelte es plötzlich von Polizisten des Einsatzkommandos. Sie trugen martialisch wirkende Helme und dicke Westen, eilten geduckt auf uns zu und packten uns. Sie waren blitzschnell. Wir wurden durch das Foyer zu den Aufzügen getragen.
    »Sind Sie verletzt?« fragten sie mich.
    Ich wusste es nicht. Auf meinem Gesicht und meinem Hemd waren Blut und eine klebrige Flüssigkeit, die die Ärzte später als Zerebrospinalflüssigkeit identifizierten.

    DREI

    Im

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