Der Verrat
Von Holzkohleöfen stieg Rauch auf, wurde vom Wind davongeweht und vermischte sich mit den wirbelnden Schneeflocken.
Vor dem ageya Owariya hatte sich eine Gruppe Samurai versammelt; die Männer plauderten und rauchten Tabakspfeifen. Einige trugen das Wappen der Tokugawa – das dreifache Malvenblatt – auf ihren Umhängen, was sie als Gefolgsleute des Shōgun auswies; andere waren mit Überhosen und kurzen Kimonos bekleidet und mit jitte bewaffnet, der Standardwaffe der Polizei. Die Samurai bedachten Sano mit teils neugierigen, teils argwöhnischen, teils feindseligen Blicken.
»Ihr könnt Euch wohl denken, sōsakan-sama , wer diese Männer hierher befohlen hat«, raunte Hirata, und seine Stimme bebte vor Zorn.
Sano nickte. Er wusste nur zu gut, wer sich solche Mühe gab, ihm und seinen Leuten zuvorzukommen.
Als sie das Owariya erreichten, glitt die Tür zur Seite, und ein hoch gewachsener, breitschultriger Samurai in einem prächtigen Umhang aus gefütterter schwarzer Seide trat hinaus. Er war ein gut aussehender Mann Mitte dreißig, strahlte jedoch Überheblichkeit aus. Als er Sano erblickte, verzogen sich seine vollen, sinnlichen Lippen zu einem Lächeln ohne jede Wärme, und er verbeugte sich.
» Sōsakan-sama «, sagte er und fügte ironisch hinzu: »Welche Freude, Euch zu sehen.«
»Kommandeur Hoshina, ich fühle mich geehrt.« Sano verbeugte sich ebenfalls.
Die Luft zwischen beiden Männern war gleichsam aufgeladen mit unversöhnlicher Feindseligkeit und gegenseitigem Misstrauen. Sano und der Polizeikommandeur waren einander das erste Mal in Miyako begegnet, der alten kaiserlichen Hauptstadt, wo Sano nach der Ermordung eines ranghohen Hofbeamten die Ermittlungen geleitet hatte. Hoshina war damals Befehlshaber der Polizei Miyakos gewesen. Zwar hatte er vorgegeben, Sano bei dessen Nachforschungen zu helfen, doch in Wahrheit hatte er sich mit Kammerherr Yanagisawa, dem Stellvertreter des Shōgun, gegen Sano verbündet. Dabei waren Yanagisawa und Hoshina einander näher gekommen und schließlich Geliebte geworden. Nach Abschluss des Falles hatte Hoshina den Kammerherrn nach Edo begleitet und war nach der Ermordung des alten Polizeikommandanten der Stadt zu dessen Nachfolger ernannt worden.
»Was führt Euch her?« Hoshinas Stimme ließ erkennen, dass er Sano als Eindringling in sein eigenes Hoheitsgebiet betrachtete.
»Ein Befehl des Shōgun«, erwiderte Sano, der den Grund für die Feindseligkeit seines Widersachers nur zu gut kannte: In Miyako hatte er sich als der bessere Ermittler erwiesen und den Sieg über Hoshina davongetragen, was dieser ihm nie verzeihen würde. »Ich bin gekommen, um den Mord an Fürst Mitsuyoshi aufzuklären. Oder habt Ihr den Mörder schon gefunden?«
»Nein«, gab Hoshina widerwillig zu. Die Arme vor der Brust verschränkt, versperrte er die Eingangstür zum ageya . »Aber Ihr habt die Reise hierher umsonst gemacht. Ich habe die Nachforschungen bereits eingeleitet. Wenn Ihr etwas wissen wollt, fragt mich.«
Die Ermittlungen in Miyako hatten zu einem Waffenstillstand zwischen Sano und Kammerherr Yanagisawa geführt, nachdem sie jahrelang erbitterte Feinde gewesen waren. Doch Hoshina versuchte bei jeder Gelegenheit, diesen Frieden zu stören, weil er Sano als Bedrohung für seinen eigenen Aufstieg im bakufu betrachtete, dem herrschenden Militärregime. Nachdem Hoshina seinen Rang als Polizeikommandeur Edos gefestigt und sich eigene Verbündete erworben hatte, hatte er seinen Feldzug gegen den sōsakan-sama aufgenommen. Wann immer die Wege der beiden sich kreuzten, versuchte Hoshina zu beweisen, dass er der bessere Mann war, wobei er nicht davor zurückschreckte, Sanos Ermittlungen zu behindern oder seine eigenen Nachforschungen bis in Sanos Fälle hinein auszudehnen – stets in der Hoffnung, den oder die Täter als Erster aufzuspüren, um den Verdienst, den Fall gelöst zu haben, für sich selbst in Anspruch nehmen zu können.
Offensichtlich versuchte Hoshina nun, seine Feindschaft mit Sano auch in diesen neuen Fall hineinzutragen, und Sano konnte kaum etwas dagegen unternehmen. Zwar war er ein hoher Beamter des bakufu und ein Vertrauter des Shōgun, doch Hoshina besaß die Gunst Yanagisawas, der den schwachen Shōgun beherrschte und die wahre Macht in Japan war. Dies verschaffte Hoshina die Möglichkeit, seinem Rivalen bei dessen Ermittlungen immer wieder Steine in den Weg zu legen und ihm so respektlos gegenüberzutreten wie jetzt, solange er eine offene
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