Der Verrat
dem blutigen Spiel auf dem Laufenden zu bleiben.
Hier in Amerika war er als einfacher Tourist unterwegs. Ein griechischer Tourist, um genau zu sein. Irgendwo in der Vergangenheit seiner Familie musste es auch ein paar Tropfen griechischen Blutes gegeben haben. Er war viel in Griechenland unterwegs gewesen, sodass ihm die Sprache recht geläufig war, zumal sie auch in Zypern gesprochen wurde. Der Zollbeamte am Flughafen John F. Kennedy hatte ihn mit einem Lächeln durchgewinkt, was Gazichs Annahme bestätigte, dass die Griechen so gut wie überall beliebt waren, außer natürlich bei den Türken.
So wie bei fast jedem Auftrag hatte Gazich seine Bedenken, die in diesem Fall jedoch größer als sonst waren. Dies lag nicht zuletzt daran, dass er hier in Amerika operierte, einem Land, das in höchster Alarmbereitschaft vor Terroranschlägen stand. Die Grenzkontrollen und die vernetzten Computersysteme machten es sehr schwer, unter falscher Identität zu reisen. In Afrika musste er sich selten Sorgen machen, dass ihn eine Sicherheitskamera aufnehmen könnte. Hier in Washington waren sie überall.
Es war ein eiliger Job, was nie gut für die Nerven war. Sie hatten ihm eine Stunde Bedenkzeit gegeben und ihm nicht einmal verraten, worum es ging. Alles, was er erfuhr, war, dass er nach Amerika reisen musste, dass der Job am kommenden Samstag zu erledigen war und dass er zwei Millionen Dollar bekommen würde. Das war doppelt so viel wie das höchste Honorar, das er bisher kassiert hatte. Sein erster Gedanke war, dass es sich um eine Falle handelte, aber nach einer kurzen Analyse verwarf er diese Möglichkeit. Er hatte nichts getan, was den Amerikanern geschadet hätte. Sie hatten keinen Grund, sich solche Mühe zu machen, um einen Mann zu schnappen, der sich auf den Schlachtfeldern Afrikas sein Geld verdiente.
Gazich pflegte seine Ziele im Allgemeinen auf zweierlei Art zu beseitigen. Er schoss ihnen entweder aus sicherer Entfernung eine Kugel in den Kopf oder jagte sie mit Sprengstoff in die Luft. Sein wichtigster Grundsatz dabei war, so einfach wie möglich vorzugehen. Nachdem er auf einem Bauernhof in der Nähe von Sarajevo aufgewachsen war, hatten Gazich und seine älteren Brüder schon früh das Handwerk der Jagd erlernt. Mit zehn Jahren waren sie allesamt Meisterschützen. Mit sechzehn schickte sein Vater ihn und seine drei älteren Brüder zu den Streitkräften der bosnischen Serben, die die Stadt Sarajevo belagerten. Damals hatte Gazich zum ersten Mal statt eines Wildtieres einen Menschen ins Visier genommen. Die Jagd auf Menschen erschien ihm zwar als geringere Herausforderung – in mancher Hinsicht empfand er sie aber als spannender als die Jagd auf Wild.
Heute würde er eine der aufregendsten Operationen seiner Laufbahn durchführen. Er bedauerte nur, dass er nicht mehr Zeit für die Vorbereitung hatte. Es war jedes Mal wieder aufregend, einen Menschen aus einer Entfernung von bis zu eineinhalb Kilometern zu töten. Jemanden auszuschalten, indem man eine Bombe per Fernzündung hochgehen ließ, war zwar nicht ganz so spannend – aber in diesem Fall blieb ihm nichts anderes übrig; er hatte einfach nicht genug Zeit, um alles für einen Kopfschuss in die Wege zu leiten.
Am Montag hatte er erfahren, wer das Ziel war und welche Route der Konvoi nehmen würde. Am gleichen Tag nannte er die Dinge, die er für die Operation brauchte. Er sprach nie mit seinen Auftraggebern persönlich – ja, er wusste in diesem Fall überhaupt nichts über sie, wenngleich er so seine Vermutungen hatte. Bestimmt waren es moslemische Terroristen, die ja ohnehin gedroht hatten, mit einem Anschlag in die amerikanischen Wahlen einzugreifen. Gazich hegte keinerlei Sympathie für diese Leute, aber die Höhe des Honorars war genauso reizvoll wie die Vorstellung, den Amerikanern eins auswischen zu können. Sie hatten sich in die inneren Angelegenheiten seines Landes eingemischt – daher erschien es ihm nur recht und billig, das Gleiche bei ihnen zu tun.
Diese Terroristen wurden immer schlauer. Es war für sie mittlerweile extrem schwierig, ihre eigenen Gefolgsleute nach Amerika einzuschleusen. Da war es schon viel einfacher, einen unabhängigen Killer anzuheuern – und selbst wenn sie ihm zwei Millionen Dollar zahlten, kam es sie immer noch billiger, als ein Team auszubilden, entsprechend auszurüsten und ins Land zu bringen. Die größte Schwierigkeit musste für sie darin bestanden haben, den Sprengstoff und die Zünder zu besorgen, die
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