Der Verrat
zum Amtssitz des Vizepräsidenten im Naval Observatory fuhren. Der Vizepräsident würde in ihrem Namen einen diplomatischen Empfang geben. Alle wichtigen Botschafter würden kommen, und Ross und Alexander würden den versammelten Gästen ihre Vision von Sicherheit, Frieden und Wohlstand im einundzwanzigsten Jahrhundert erläutern. Die Veranstaltung hätte eigentlich im Weißen Haus stattfinden sollen, doch sie hatten eine Abfuhr bekommen. Der Ausgang der Wahl – ja, verdammt, seine ganze politische Laufbahn – hing von diesem Nachmittag ab. Hätte er an Gott geglaubt, so hätte er ein Gebet gesprochen, doch er war nicht gläubig, und so verfluchte er wieder einmal den Präsidenten.
Die Limousine kam zum Stillstand, und Ross sah seinem Wahlkampfmanager, der immer noch vor sich hin plapperte, in die Augen. »Stu«, sagte er und rückte noch einmal seine Krawatte zurecht, »halt endlich den Mund. Ich bekomme Kopfschmerzen von deinem Geschwätz.«
Mit diesen Worten stieg Ross aus dem Wagen. Er knöpfte sein Jackett zu und winkte mit der anderen Hand den Reportern und Fotografen zu. Er wollte gerade anmerken, was für ein schöner Tag heute sei, als die ganze Schar ihre Kameras und Mikrofone von ihm abwandte. Ross drehte sich um und sah die braun gebrannten, schlanken Beine von Jillian Rautbort Alexander aus der zweiten Limousine auftauchen.
Die Medien liebten sie. Sie nannten sie Amerikas Diana. Ihre Beliebtheitswerte lagen über siebzig Prozent – weit über denen der beiden Kandidaten. Sie war eine umwerfende Schönheit – einen Meter fünfundsiebzig groß, mit schulterlangem blonden Haar und einer tollen Figur. Jillian war in der absoluten Elite groß geworden und unter anderem in der Schweiz zur Schule gegangen. Ihr Riesenvermögen hatte die Familie mit Immobilien gemacht; die Rautborts besaßen Häuser in Paris, Manhattan und Palm Springs. Heute, mit sechsunddreißig Jahren, gehörte Jillian zu den beneidenswerten Frauen, die mit zunehmendem Alter immer besser aussahen. Sie zog Männer an, ohne irgendetwas dazu tun zu müssen. Ross hatte schon mehr als einmal daran gedacht, sein Glück bei ihr zu versuchen. Sie war ganz sicher keine Heilige – aber es hatte sich nie eine wirkliche Gelegenheit ergeben.
Josh Alexander schloss sich seiner Frau an, und erneut setzte das Blitzlichtgewitter ein. Er war einen Meter fünfundachtzig groß, hatte schwarzes Haar und die gebräunte Haut eines begeisterten Golfers. Er hatte makellose Manieren und erinnerte Ross ein wenig an die Fernsehprediger im Süden. Seine Anzüge waren immer ein klein wenig flotter als die der anderen, sein Haar war etwas länger als der Durchschnitt und perfekt gestylt und seine Zähne fast eine Spur zu weiß. Sein ganzes Auftreten war natürlich Teil des Plans, möglichst viele der christlichen Wählerstimmen im Süden zu gewinnen, und die Umfrageergebnisse zeigten, dass das auch funktioniert hatte. Das wahre Problem lag nun bei den Leuten an der Basis, die sich verraten fühlten und damit drohten, am Wahltag zu Hause zu bleiben.
Ross sah zu, wie der Präsidentschaftskandidat und seine Frau für die Kameras posierten. Lächelnd standen sie da – mit diesem aufgesetzten Lächeln im Gesicht, das Ross schon nicht mehr sehen konnte. Dennoch behielt auch er sein gezwungenes Lächeln bei und tat so, als bewundere er das junge Traumpaar. Ross’ Frau saß zu Hause am Bett ihrer Tochter, die jeden Moment ihr erstes Enkelkind zur Welt bringen sollte. Es war ihr ganz recht so; sie hatte den ganzen Wahlkampf gründlich satt. Es machte keinen Spaß, bei jeder Gelegenheit von einer zwanzig Jahre jüngeren Frau überstrahlt zu werden.
Alexander ging schließlich von seiner Frau weg und kam zu Ross herüber. Er streckte ihm die rechte Hand entgegen und klopfte Ross mit der linken auf die Schulter.
»Wie geht’s, Mr. Vice President?«, erkundigte er sich.
»Gut, Mr. President«, antwortete Ross lächelnd, was ihn einige Mühe kostete.
Es war Alexanders Idee gewesen, dass sie einander mit den Amtstiteln ansprachen. Als sie nach dem Parteikonvent noch acht Prozent in Führung gelegen hatten, war es noch lustig gewesen – jetzt hingegen wirkte es nur noch wie ein kindisches Spiel, das nichts mehr mit der tatsächlichen Situation zu tun hatte. Ross glaubte zwar immer noch, dass sie eine Chance hatten – er dachte nur nicht, dass sie es allein mit der Kraft des positiven Denkens schaffen konnten. Fünf Schlüsselstaaten waren noch zu haben. Die letzten
Weitere Kostenlose Bücher