Der Verrat: Thriller (German Edition)
ließ sich nicht unterdrücken.
Sie musste etwas tun, um ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. »Gibt es nicht irgendein System, einen Alarm, den man bei Kindesentführung auslöst? Ich bin sicher, dass ich das im Fernsehen gesehen habe. Man gibt den Fahrern auf den Autobahnen Hinweise oder so etwas?«
»Sie meinen den Amber Alert«, sagte Lopez. »Wenn ein Kind entführt wird, gibt man das über die Mautportale an der Autobahn bekannt. Aber es gehört noch viel mehr dazu. Man sendet es im Radio, und die Nachrichtensender im Fernsehen blenden es über Laufbänder ein. Viele Leute haben auch ein SMS-Abo dafür. In vielen Fällen hat es sehr gut funktioniert.«
»Das sollte man für Jimmy machen.« Stephanie vergrub beide Hände in ihrem Haar. »In diesem Moment sollte es bereits laufen.«
»Officer Parton hat die Sache im Griff.« Aber allzu überzeugt klang Lopez nicht.
»Sie haben doch ein Funkgerät hier. Können Sie nicht herausfinden, was los ist? Bitte.«
Lopez war verlegen. »Ich kann nichts tun. Glauben Sie mir, es ist schon alles ins Rollen gebracht.«
»Aber nicht schnell genug«, erwiderte Stephanie ungeduldig. »Irgendwo da draußen ist ein kleiner Junge, der immer mehr Angst bekommt, je länger er von mir getrennt ist. Ich hoffe, Sie können damit leben, Officer Lopez. Denn wenn ich hier rauskomme, wird unter anderen Ihr Name in den Schlagzeilen zu lesen sein. Ich habe Kontakte zu den Medien, da würden Ihnen die Tränen kommen. Und ich werde sie wirksam einzusetzen wissen.«
»Ich glaube, Drohungen sind in der jetzigen Situation nicht ratsam, Ma’am.«
»Aus meiner Sicht sind Drohungen das einzig Ratsame. Weil es nichts bringt, an die Menschlichkeit der Leute hier zu appellieren, oder? Vielleicht sollte ich besser Ihr Eigeninteresse ansprechen. Legen Sie Wert auf eine Fortsetzung Ihrer Karriere, Officer Lopez? Wollen Sie nicht am Ende zu den Guten gehören?«
Lopez ging einen Schritt auf sie zu. Stephanie erwartete Zorn oder Angst, war aber mit etwas ganz anderem konfrontiert. Lopez legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich tu mal so, als hätten Sie das alles nicht gesagt. Sie sind verstört. Das kann ich verstehen. Aber ich rate Ihnen, das mit den Drohungen zu vergessen, bis Sie in einer Situation sind, in der Sie entsprechend handeln können. Diese Organisation braucht keine schwerwiegenden Gründe, um Personen festzuhalten und jeglichen Kontakt nach außen zu unterbinden.«
Oberflächlich betrachtet hörte es sich wie die sanfte Stimme der Vernunft an. Aber auf Stephanie wirkte es wie die kaltblütigste Drohung, die sie sich vorstellen konnte.
Vivian McKuras legte so sachte den Hörer auf, als wollte sie ihn nicht provozieren, auf sie loszugehen und sie zu beißen. Sie hatte erwartet, dass ihr Chef ihr die Kindesentführung entreißen und sie verpflichten würde, sich Passagierlisten oder etwas ähnlich Stumpfsinniges vorzunehmen. Stattdessen war sie mitten in etwas hineingeplatzt, das sich nach einer Großaktion anhörte. Er hatte aufgeregt herumgefaselt, sie hätten die glaubhafte Drohung eines Selbstmordattentäters mitbekommen, die sich auf eine unmittelbar bevorstehende politische Kundgebung in Anwesenheit der Präsidentenfamilie bezog. Jeder, der irgendwie abkömmlich war – außer ihr, natürlich –, war unterwegs, um das Risiko einzudämmen, bevor es außer Kontrolle geriet. Normalerweise hätte ein solches Verhalten bei einem Mann, der offenbar bereits in der Highschool Kaltblütigkeit zu seinem Motto gemacht und es seitdem beibehalten hatte, sie verwirrt. Aber heute begrüßte sie es. Denn heute bedeutete es, dass sie volle Kontrolle über ihren ersten großen Fall erhielt. Siebenundzwanzig Jahre alt, und sie hatte einen eigenen wichtigen Fall! Auch wenn ihr Chef ihr gesagt hatte, sie solle ihre am Flughafen stationierten Kollegen mit einbeziehen, damit sie mit ihr zusammen alles organisierten. Sie legte das lieber als Vorschlag aus statt als Anweisung. Dies hier war ihr Fall, ihre Chance, die Wende zu schaffen.
Das Erste, was sie tun musste, war, den Amber Alert, den speziellen Notalarm bei Kindesentführung, vorzubereiten. Sie brauchte eine Beschreibung des Kindes und ein nicht zu altes Foto. Glücklicherweise hatte sie das alles zur Hand. Im wahrsten Sinn des Wortes. Vivian öffnete ihr E-Mail-Postfach und schickte eine dringende Nachricht an ihren Ansprechpartner bei der ICE HSI – der Behörde für sicherheitsrelevante Ermittlungen im Bereich
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