Der Verrat: Thriller (German Edition)
Telefonhörer schien ihn zu faszinieren. »Parton«, sagte Vivian ungeduldig. »Besorgen Sie mir diese Namensliste.«
Er schaute ihr in die Augen, wirkte aber wie betäubt. »Es wird ihm doch nichts passieren? Dem Jungen? Sie werden ihn finden, nicht wahr?«
Er verdiente es nicht, dass man sich seinetwegen Lügen ausdachte. »Lebend? Wahrscheinlich nicht. Gehen Sie jetzt.« Sie sah, wie er auf dem Weg nach draußen fast über den Stuhl fiel. Dann holte Vivian tief Luft, raffte sich auf und wählte die Nummer ihres Chefs. Der Klingelton würde das Ende ihrer Eigenständigkeit in diesem Fall von Kindesentführung bedeuten.
4
D er Drang, aufzustehen und hin und her zu gehen, war fast übermächtig. Stephanie hatte schon versucht, sich zu erheben, erreichte damit aber nur, dass Lopez ihr energisch befahl, sie solle sitzen bleiben. »Sonst muss ich Ihnen wieder die Handschellen anlegen«, warnte sie.
»Steht es mir nicht zu, jemanden anzurufen oder so etwas?«, fragte Stephanie. »Ich dachte, ihr Amerikaner legt so viel Wert auf anwaltliche Vertretung?«
Lopez stieß ein freudloses Lachen aus. »Haben Sie noch nie von Guantanamo gehört? Wir legen nicht so großen Wert auf Menschenrechte, wenn es um Leute geht, die uns niedermachen wollen.«
»Aber ich bin keine Terroristin. Ganz offenkundig nicht. Ich bin eine Frau, deren Kind vor ihren eigenen Augen entführt wurde, und Sie behandeln mich, als hätte ich etwas verbrochen. Wann nimmt mich endlich jemand ernst?« Stephanies Stimme wurde lauter, obwohl sie sich vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben. Vor lauter Angst und Sorge war ihr übel, und sie schwitzte. Aber sie musste die Fassung behalten. Jimmy zuliebe. Dem Versprechen zuliebe, das sie gegeben hatte.
Sie hätten diese Urlaubsreise nie unternehmen sollen. Aber sie hatte sich von dem Gedanken an Kalifornien hinreißen lassen. Strände und Brandung, Disneyland und die Universal Studios in Hollywood, Sonne und der Yosemite-Nationalpark. Die Stadt der Swimmingpools hatte ihre Phantasie in Bann geschlagen, seit sie den Song von Joni Mitchell gehört hatte. Sie wollte wissen, wie die Wellen in Malibu klangen. Jimmys Ferien waren nur ein Vorwand dafür, sich ihre eigenen Wünsche zu erfüllen.
Das war unvernünftig gewesen.
Sie hätten nach Spanien fahren sollen. Hätten mit dem Auto per Fähre nach Santander übersetzen und dann zur Costa Brava hinüberfahren oder die französische Atlantikküste bis zur Bretagne hinaufzuckeln sollen. Sie hätten etwas tun sollen, was keine Metalldetektoren und keine Trennung von Jimmy mit sich brachte. Was demjenigen, der sich Jimmy schnappen wollte, keine Steilvorlage lieferte.
Wer würde überhaupt so etwas tun? Wer besäße die Frechheit und hätte auch noch genug Grips, ihn ausgerechnet auf einem Flughafen mit so vielen Menschen zu entführen, der durch Videokameras und einige der strengsten Sicherheitsvorkehrungen der Welt bestmöglich gesichert war? Es war unfassbar.
Schwer zu glauben, dass die Wahl zufällig auf ihn gefallen war, dass es also um eine spontane Entführung ging. Jemand hatte die Sache geplant. Ohne Zweifel war die Person, die Jimmy mitgenommen hatte, keine echte Sicherheitskraft gewesen, andernfalls hätten Parton und Lopez Bescheid gewusst. Das hieß, es war ein Betrüger. Aber man konnte sich nicht unendlich lange in einer falschen Uniform herumtreiben, ohne die Aufmerksamkeit der echten Sicherheitsangestellten zu erregen. Die Schlussfolgerung war nicht von der Hand zu weisen: Jimmy war ganz gezielt ausgewählt worden. Und das hieß: Es war ein Kidnapper, der seine tragische Vorgeschichte kannte. Und natürlich auch ihre Reisepläne.
Bitte, Gott, mach, dass ihm nichts passiert. Der Gedanke, dass Jimmy noch mehr leiden könnte, war ihr unerträglich. Er hatte schon so viel mehr Schlimmes hinter sich, als ein Fünfjähriger erlebt haben sollte. Manchmal, wenn er sich vor dem Schlafengehen an sie schmiegte, hatte sie sich vorgestellt, dass sie seinen Kummer in sich aufsaugte und aufnahm wie Lymphknoten, die Giftstoffe absorbieren. Dass sie Jimmy wie durch magische Heilkraft wieder in einen Zustand zurückversetzte, in dem er keine Spuren dieser tiefen Wunden mit sich herumtragen musste. Welcher Mistkerl würde diese Last an Schmerz und Angst noch vergrößern wollen?
Stephanie verdrängte den Gedanken und wollte sich nicht eingestehen, dass sie irgendeinen Menschen kannte, der sich eine solche Grausamkeit ausdenken könnte. Aber die böse Vorstellung
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