Der Verschollene
vorlesen. Er würde sicher Wir- kung machen, da er mit einer etwas einfachen wenn auch immer gutgemeinten Schlauheit und mit viel Liebe zu dem Vater ihres Kindes geschrieben ist. Aber ich will weder Sie mehr unterhalten, als es zur Auflärung nötig ist noch vielleicht gar zum Empfang möglicherweise noch bestehende Gefühle meines Neffen verletzen, der den Brief, wenn er mag, in der Stille seines ihn schon erwartenden Zimmers zur Belehrung lesen kann." Karl hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im Gedränge einer immer mehr zurückgestoßenen Vergan- genheit saß sie in ihrer Küche neben dem Küchen- schrank, auf dessen Platte sie ihren Elbogen stützte. Sie sah ihn an, wenn er hin und wieder in die Küche kam, um ein Glas zum Wassertrinken für seinen Vater zu ho- len oder einen Aufrag seiner Mutter auszurichten. Manchmal schrieb sie in der vertrackten Stellung seitlich vom Küchenschrank einen Brief und holte sich die Ein- gebungen von Karls Gesicht. Manchmal hielt sie die Au- gen mit der Hand verdeckt, dann drang keine Anrede zu ihr. Manchmal kniete sie in ihrem engen Zimmerchen neben der Küche und betete zu einem hölzernen Kreuz, Karl beobachtete sie dann nur mit Scheu im Vorüber- gehn durch die Spalte der ein wenig geöffneten Tür. Manchmal jagte sie in der Küche herum und fuhr wie eine Hexe lachend zurück, wenn Karl ihr in den Weg kam. Manchmal schloß sie die Küchentüre, wenn Karl eingetreten war, und behielt die Klinke solange in der Hand bis er wegzugehn verlangte. Manchmal holte sie Sachen, die er gar nicht haben wollte, und drückte sie ihm schweigend in die Hände. Einmal aber sagte sie Karl!" und führte ihn, der noch über die unerwartete Ansprache staunte, unter Grimassen seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte. Würgend umarmte sie seinen Hals und während sie ihn bat sie zu entkleiden, entkleidete sie in Wirklichkeit ihn und legte ihn in ihr Bett, als wolle sie ihn von jetzt niemandem mehr lassen und ihn streicheln und pflegen bis zum Ende der Welt. Karl, o Du mein Karl", rief sie als sehe sie ihn und bestätige sich seinen Besitz, während er nicht das gering- ste sah und sich unbehaglich in dem vielen warmen Bett- zeug fühlte, das sie eigens für ihn aufgehäuf zu haben schien. Dann legte sie sich auch zu ihm und wollte ir- gendwelche Geheimnisse von ihm erfahren, aber er konnte ihr keine sagen und sie ärgerte sich im Scherz oder Ernst, schüttelte ihn, horchte sein Herz ab, bot ihre Brust zum gleichen Abhorchen hin, wozu sie Karl aber nicht bringen konnte, drückte ihren nackten Bauch an seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich daß Karl Kopf und Hals aus den Kissen heraus schüttelte, zwi- schen seinen Beinen, stieß dann den Bauch einigemale gegen ihn, ihm war als sei sie ein Teil seiner selbst und vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn eine entsetzliche Hilfsbedürfigkeit ergriffen. Weinend kam er endlich nach vielen Wiedersehenswünschen ihrerseits in sein Bett. Das war alles gewesen und doch verstand es der Onkel, daraus eine große Geschichte zu machen. Und die Köchin hatte also auch an ihn gedacht und den On- kel von seiner Ankunf verständigt. Das war schön von ihr gehandelt und er würde es ihr wohl noch einmal vergelten.
„Und jetzt", rief der Senator, „will ich von Dir offen hören, ob ich Dein Onkel bin oder nicht."
„Du bist mein Onkel", sagte Karl und küßte ihm die Hand und wurde dafür auf die Stirn geküßt. „Ich bin sehr froh daß ich Dich getroffen habe, aber Du irrst, wenn Du glaubst, daß meine Eltern nur Schlechtes von Dir reden. Aber auch abgesehen davon sind in Deiner Rede einige Fehler enthalten gewesen, d. h. ich meine, es hat sich in Wirklichkeit nicht alles so zugetragen. Du kannst aber auch wirklich von hier aus die Dinge nicht so gut beurteilen und ich glaube außerdem, daß es kei- nen besondern Schaden bringen wird, wenn die Herren in Einzelheiten einer Sache, an der ihnen doch wirklich nicht viel liegen kann, ein wenig unrichtig informiert worden sind."
„Wohl gesprochen", sagte der Senator, führte Karl vor den sichtlich teilnehmenden Kapitän und sagte: „Habe ich nicht einen prächtigen Neffen?"
„Ich bin glücklich", sagte der Kapitän mit einer Ver- beugung wie sie nur militärisch geschulte Leute zustande bringen, „Ihren Neffen, Herr Senator, kennen gelernt zu haben. Es ist eine besondere Ehre für mein Schiff, daß es den Ort eines solchen Zusammentreffens abgeben konnte. Aber die Fahrt im
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