Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
der Kopf fehlte, nahm er selbst offenbar nicht als ganz so menschlich wahr wie den Körper eines Gehenkten. Sein besonderes Interesse galt allerdings nach wie vor den Köpfen der Getöteten.
… ging aber bald schon zu Menschen über. Geköpfte fand er weniger makaber als Gehenkte – es ging ihm um Forschung, nicht um Wiederbelebung
Aldini bekam die frisch abgehackten Schädel in der Regel noch warm zugeliefert und ging sofort daran, verschiedene Elektroden anzulegen. Anders als sein Onkel Galvani arbeitete er mit einer externen Stromquelle: Die von ihm eingesetzte voltaische Säule lieferte bis zu 100 Volt und brachte entsprechend heftige Resultate. Die an unterschiedlichen Punkten von Kopf und Gesicht angesetzten Elektroden hatten teils bizarre Grimassen zur Folge, wenn die noch warme Muskulatur unter den Schocks krampfte.
Aldini ließ dabei nichts aus, öffnete die Schädel, setzte das Gehirn unter Strom und beobachtete die Resultate. Wie er in seinem Buch Essai théorique et expérimental sur le galvanisme von 1804 schildert, verdrahtete er einmal zwei Köpfe miteinander, so dass sich die Geköpften gegenseitig »Grimassen schnitten«. Hierbei sollen erstmals Menschen im Publikum in Ohnmacht gefallen sein – eine reife Leistung zu einer Zeit, als Hinrichtungen noch Volksfest-Charakter hatten. In einem anderen Fall soll ein Wisseschaftler, der in England einer Reihe von Aldini-Experimenten beiwohnte, dabei einen solchen Schock erlitten haben, dass er noch im Verlauf derselben Nacht starb.
Kein Wunder also, dass die galvanischen Experimente an Leichen zunehmend auch Abscheu erweckten, nachdem die erste Euphorie und Faszination sowie der sich anschließende wohlige Gruselfaktor öffentlicher Experimente nachzulassen begannen.
Dazu kam, dass Europas Forscher nun zwar schon jahrzehntelang Leichen und Leichenteile zucken ließen, damit aber nachweislich nichts erreicht hatten. Bereits 1803 erfolgte darum in Preußen ein erstes Verbot galvanischer Leichenexperimente. In besonderen Fällen wurde eine Ausnahme gemacht, doch voyeuristische Zurschaustellungen hatte man damit effektiv unterbunden.
Lebenskraft als Medizin
Im Rest Europas sowie in Amerika ließ man es noch einige Jahre länger kräftig zucken. Dazu gesellten sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts zunehmend auch Experimente am lebenden Objekt: Wenn man schon keine Leichen beleben konnte, vielleicht klappte das ja mit Kranken?
Die Verbindung, wenn nicht gar Gleichsetzung von Elektrizität und Lebenskraft hatte sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Ohne jegliche empirische Erfahrung, ohne irgendwelche Beweise unterstellte man der Elektrizität heilende Wirkung.
Stromeinsatz fand schnell auch den Weg in die Therapie von Kranken
Man schien lediglich herausfinden zu müssen, wie man sie richtig anwendet und wie man sie dosiert, damit sie dem Wohle des Menschen dient. So martialisch und grausam die anschließenden Experimente, die bald in den Anfängen der Elektrotherapie münden sollten, aus heutiger Sicht erscheinen, waren sie doch fest mit der Hoffnung verbunden, auf diesem Weg den Menschen zu helfen. Viele mögen zweifelhaft gewesen sein, mehr Spektakel als Forschung, aber viele waren auch von echtem, zutiefst humanem Forscherdrang getrieben.
Bereits 1799 hatte Allessandro Volta mit der nach ihm benannten voltaischen Säule, basierend auf den von Galvani zufällig entdeckten Prinzipien, den Prototyp der Batterie erfunden. Damit wurden Stromexperimente von nun an wesentlich einfacher: Energie aus der Konserve, die sich zudem auf chemischem Weg erzeugen ließ, machte mit einem Mal sogar mobile Apparate mit hinreichend Kraft möglich. Im Sinne des Wortes trug das die Elektrizität hinaus in die Welt.
Sektenhafte Nebenwirkungen
Diese Welt war mehr als bereit, sich mit mysteriösen Kräften zu beschäftigen, die Heilung versprachen und vielleicht sogar Unsterblichkeit. Dem bürgerlichen Salon waren solche Themen seit langem vertraut: Seit den 1770er Jahren feierte vor allem der Arzt Franz Anton Mesmer (1734–1815) mit seinen Theorien vom sogenannten animalischen Magnetismus große Erfolge. Die Gedanken dahinter waren den erfolglosen Leichen-Weckversuchen per Strom durchaus verwandt.
Wie später Galvani so glaubte auch Mesmer an eine dem Leben innewohnende Kraft, die er allerdings für eine Art Magnetismus hielt. Elektrizität und Magnetismus hielt man für eng verwandt, mitunter gar für Ausdrücke derselben Energie. Als Mesmer damit begann,
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