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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Patalong
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einen Kurzschluss gibt.«

Der Urstoff der Esoterik
    Das ist nicht einmal unwahrscheinlich. Seit Aristoteles (384 v. Chr.–322 v. Chr.) war der Glaube an ein stets anders definiertes Raum-Fluidum, den »Äther«, auch unter Wissenschaftlern weit verbreitet. Hielt man es in der Antike für den Grundstoff aller Elemente, stellte man es sich später als Medium für die Übertragung von Kräften durch den Raum vor – die »Suppe«, auf der alles vom Licht bis zur Gravitationskraft schwamm. Dieser Äther musste demnach allgegenwärtig sein, also alles miteinander verbinden. Immer wieder musste er deshalb als Quelle für neu entdeckte Kräfte herhalten – schließlich mussten die sich irgendwoher speisen.
    Obwohl die Kritik an diesem Äther-Glauben früh einsetzte, erwies er sich als unausrottbar. In immer neuen Varianten trat (und tritt!) er auf, mit immer neuen Bezeichnungen. Als der Mesmerismus nach rund 50 Jahren endlich abebbte, nahm der deutsche Industrielle und Forscher Karl von Reichenbach den Ball wieder auf und postulierte die von ihm nach dem nordischen Göttervater Odin benannte Lebenskraft Od.
    Auch er sah diese mysteriöse Kraft als dem Magnetismus eng verwandt, seine reichlich esoterische Lehre fand über 30 Jahre lang begeisterte Anhänger. 40 Jahre später sollte die Od-Kraft sogar noch einmal von einem spinnerten amerikanischen Arzt ausgegraben werden, der es damit zumindest für ein paar Monate zu einer gewissen Medienprominenz brachte. Schnell war dann aber klar, dass Od, der Äther oder wie auch immer man die imaginäre Weltenergie nennen mag, die wir Menschen angeblich anzapfen, als Erklärung für Röntgenstrahlung und Radioaktivität genauso wenig taugte wie als Erklärung für Magnetismus oder Elektrizität.
    Dabei waren Mesmer und später Reichenbach durchaus deshalb erfolgreich, weil ihre Methoden etwas bewirkten. Der Placebo-Effekt, der heute noch den Zuckerpillchen, Bachblüten und anderen homöopathischen Präparaten zu einer 30-prozentigen Wirkchance verhilft, bescherte auch den Wunderheilern vergangener Jahrhunderte einige Erfolge. Trotzdem sollte die Kritik am erfolgreichen Heiler Mesmer rasch zunehmen – vor allem weil das Magnetwedeln bei wirklich schweren Erkrankungen tatsächlich nicht nur wenig, sondern gar nichts brachte. Eine erste amtliche, vom französischen König kurz vor der Revolution bestellte Untersuchungskommission kam noch zu einem höchst ambivalenten Ergebnis: Während sie – natürlich in höflicheren Worten – Mesmers Theorien über ein »magnetisches Fluidum« als völligen Humbug ablehnte und keinerlei wissenschaftliche Fundierung entdecken konnte, bescheinigte sie Mesmers Therapien dennoch eine Erfolgsquote – auch wenn der Erfolg »auf Einbildung« beruhe. Es sollte 50 Jahre und zwei weitere Kommissionen brauchen, das Wirken der Mesmeristen in Europa zu beenden.
    Ganz verschwand der Mesmerismus allerdings nie. Abbé Faria, einer von Mesmers Jüngern, erkannte die Wirksamkeit der Methode als realen psychischen Effekt, der ihm eng verwandt schien mit einer orientalischen Technik, die man in Europa bis dahin nur vom Hörensagen kannte. Faria machte sich schlau und brachte diese orientalischen Praktiken nach Europa, wo sie bald einen wissenschaftlichen Namen verliehen bekamen: Hypnose. Wenn man so will, liegen hier die Wurzeln der frühesten Psychotherapien. Während Mesmer am Ende weniger Arzt als Popstar war, versuchte Faria, seine Hypnosetechnik weiterzuentwickeln, um sie therapeutisch zu nutzen. Ihren Weg auf die Bühne des Entertainments fand sie natürlich trotzdem, und wirkte – entsprechend inszeniert – gerade dort weiterhin höchst mystisch.
    Frankenstein und Mesmer, Galvani und Faria erklären, warum gerade die Elektrik auf eine derartige Euphorie stieß, obwohl man doch noch keine echte Verwendung für sie hatte: Es war, als hätte man eine Energie, die mit dem Leben selbst korrespondierte, angezapft. Den meisten der frühen Tüftler und Anwender ging es nicht um die Maschinen oder die Technik, sondern darum, mit ihrer Hilfe das Leben zu verbessern wenn nicht gar zu verlängern. Die Geschichte der Elektrotechnik begann also mit jeder Menge Heilserwartungen. Wenn man an die Geschichte von Gregory F. Packer und seinem Warten auf das erste iPhone denkt, könnte man meinen, dass sich seitdem wenig geändert hat.
    Anzeige aus der Kulturzeitschrift »Jugend«: Hypnose und Mesmerisierung hatten ganz offen sexuelle Nebenaspekte
    DIE GEFAHREN DES

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