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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Patalong
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einzusetzen. Er ließ Röntgenschränke entwerfen, vor denen man bequem Platz nehmen konnte und die angeblich gezielt bestimmte Hautpartien bestrahlten. Gesicht, Arme und Beine waren die Standards. Zum Paket für die Franchise-Partner gehörte auch die Einweisung in die Technik, wenn auch auf reichlich oberflächlicher Ebene.
    War sich Geyser wirklich selbst nicht im Klaren, was er da tat, oder muss man ihm unterstellen, ein rücksichtsloser Krimineller gewesen zu sein? Dass sein System so narrensicher nicht wahr, muss ihm schnell klar geworden sein, denn beinahe sofort kletterten im Umfeld der aus dem Boden schießenden Tricho-Salons die Fallzahlen von Verbrennungen und Hauterkrankungen in die Höhe.
    Und das war erst der Anfang. Ende der 1920er Jahre gab es Tricho-Salons in 75 amerikanischen Großstädten. In Großbritanniens Metropolen existierten 1926 mindestens sechs Dependancen, Geyser warb in Europa mit dem Versprechen, »bald Filialen in allen Großstädten des Kontinents« eröffnen zu wollen. Inwieweit ihm das gelang, ist schlecht dokumentiert. Man kann aber davon ausgehen, dass Haarentfernungs-Dienstleister nach dem Tricho-Muster Mitte der 1920er Jahre tatsächlich in allen größeren europäischen Ländern aktiv waren.
    Sie konkurrierten längst mit anderen Ketten und großen regionalen Kosmetiksalons, die auf Röntgen-Enthaarungsapparate weder verzichten wollten noch konnten. Denn die Betreiber hatten eine weitere Nutzanwendung entdeckt, mit der sich neue Kundengruppen erschließen ließen: Mit hoch dosierter Röntgenstrahlung konnte man Haut bleichen, bis sie weiß war.
    Werbeanzeige: Die Röntgenröhre direkt vor dem Gesicht
    Wenige Jahre später begannen Anzeigen in der US-Presse zu erscheinen, die reichlich verklausuliert damit lockten, mit Strahlen den »dunklen Schatten« von der Haut nehmen zu können.
    Im akademischen Bereich experimentierte man derweil weit offener damit, Schwarze weiß zu färben – denn natürlich ging es um nichts anderes.
    Auch hier sind genaue Opferzahlen nicht bekannt, liegen aber definitiv weit unterhalb jener der Frauen, die X-Strahlen kosmetisch einsetzen ließen.
    Denn die Popularität der Tricho-Salons und ihrer zahlreichen Konkurrenten war nicht mehr zu bremsen. Gern nannten sich diese Firmen »Laboratorium«, so wie heute unseriöse Klitschen gerne als »Institut« firmieren: Das Dunsworth konkurrierte mit den Marveau Laboratories, Cosmique und Hair-X mit dem Arnold Dermic Laboratories. Andere setzten auf hippe Namenskonstrukte wie Vi-Ro-Gen, Harmon Method oder Epilax-Ray. Dass ihnen allen spätestens ab 1929 die Untersuchungskommission der amerikanischen Ärztekammern im Nacken saß, sich dazu außerdem gerichtliche Klagen wegen erlittener Schäden häuften, konnte weder die Institute noch ihre Popularität bremsen. Vernunft ist kein gutes Argument, wenn es um Schönheit geht. Und warb nicht selbst eine der Schönsten der Schönen für die gute Tricho-Sache?
    Starlet Ann Pennington: Haarlos schön dank Tricho-System
    Albert C. Geyser, dessen Tricho-Institut als größtes seiner Art nun immer öfter ins Visier der Staatsanwälte geriet, reagierte darauf mit konsequenter Imagewerbung. Ende der 1920er gelang es ihm, den Film-und Broadway-Star Ann Pennington, einen der Stars der populären Revuegirls der Ziegfeld Follies, als Werbe-Ikone zu gewinnen.
    Er setzte sie für sogenannte Testimonials nach dem Muster »Ich schwöre auf …« ein – Pennington distanzierte sich nie von dieser Arbeit oder der Tricho-Methode. Sie selbst sollte auch nie zu den Opfern zählen: Sie starb 1971 im Alter von 77 Jahren völlig verarmt in New York, war aber offenbar frei von Strahlenschäden.
    Das konnte man von vielen ihrer Zeitgenossinnen leider nicht behaupten. Bereits seit 1929 sammelte die Untersuchungskommission der amerikanischen Ärzteschaft Fallschilderungen von Schädigungen. Berichte über Hautverfärbungen und schmerzhafte Veränderungen wurden bald durch Berichte über ernsthafte Krebserkrankungen ergänzt. Ärztliche Akten der Zeit dokumentieren teils erschütternde Krankheitsbilder: Vom Krebs zerfressene Gesichter, ohne Nasen, teilweise mit Amputationen, ohne Augen oder Ohren.
    Aber wie sollte hier Ursache und Wirkung bewiesen werden? Hatten die Institute nicht ganz offizielle Genehmigungen, die sie als unbedenklich auswiesen?
    Nicht wirklich: Einmal mehr machten sich die Strahlen-Gauner Lücken im US-Recht zunutze. In Europa hatten sie das nicht einmal nötig. In

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