Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Ächtung sämtlicher radioaktiver Genussmittel und Medikamente folgen zu lassen.
Eben M. Byers starb am 31. März 1932. Noch erfuhr die Öffentlichkeit nicht, wie furchtbar die letzten Tage des Multimillionärs gewesen sein müssen: Ober-und Unterkiefer hatten sich im Wortsinn zersetzt und waren Tage vor seinem Tod chirurgisch entfernt worden.
Als er starb, standen die Ärzte für die Obduktion schon bereit. Sie hatten Schlimmes erwartet und fanden weit Schlimmeres. Teile des Schädels fehlten, weil sich der Knochen aufgelöst hatte, multiple Tumore hatten sich über den Körper verteilt. Der Körper selbst strahlte derart heftig, dass er kurz darauf in einem Bleisarg beigesetzt werden musste. Eine Exhumierung 60 Jahre später zeigte, dass er es geschafft hatte, sich das Dreifache der tödlichen Radiumdosis zuzuführen, bevor sein Körper aufgab.
Bereits am 1. April 1932 hagelte es Schlagzeilen. Die Pittsburgh Press teilte ihre Titelseite zwischen der zehnten gescheiterten Geldübergabe im Fall des entführten Lindbergh-Babys und Byers Tod auf. Die obduzierenden Ärzte erklärten Radithor unzweifelhaft zur Ursache für Byers Leiden, die FDC kündigte umgehend die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen alle vergleichbaren Mittel an.
Radithor selbst musste nicht mehr vom Markt genommen werden. Der clevere Kurpfuscher William J.A. Bailey hatte die Herstellung bereits ein Jahr zuvor gestoppt, als die Untersuchung des Falls Byers begann. Sicherheitshalber überstellte man Bailey trotzdem noch eine Unterlassungserklärung, die Produktion nicht mehr aufzunehmen.
Allein Byers Hausarzt wehrte sich noch wacker: Sein Patient sei nicht an Radiumvergiftung gestorben, behauptete er, sondern an den Nebenwirkungen einer durch eine Blutkrankheit verursachten Gicht, verstärkt durch Alkoholmissbrauch. Über 100 Patienten habe er Radithor verabreicht, und allen gehe es prächtig.
Es nützte nichts. Die Totenglocke für Radithor läutete, als das Wall Street Journal den ganzen Zynismus der Vorgänge um Byers Tod in eine genial makabre Schlagzeile goss: »Das Radium-Wasser wirkte prima, bis sein Kiefer abfiel« (»The Radium Water Worked Fine until His Jaw Came Off«).
Augenblicklich schlug die öffentliche Meinung um. In den Folgemonaten entdeckte man immer mehr Radiumvergiftungen, auch Patienten des radiumbegeisterten Dr. Moyar waren darunter. Die Angst ging um, denn für rund 30 Jahre hatte jeder Radium konsumiert, der es sich leisten konnte. Über Wochen hielt die New Yorker Presse die Öffentlichkeit über den Gesundheitszustand des Bürgermeisters der Stadt auf dem Laufenden, der sich am Tag nach Byers Tod als Radithor-Fan outete – und sich schnell als massiv verstrahlt erwies.
William J.A. Bailey selbst, den Radithor reich gemacht hatte, hat man nie angeklagt. Seine Radithor-Manufaktur wurde geschlossen, Nahrungsmittel und Medikamente, die radioaktive Isotope enthielten, verboten – nicht jedoch strahlende Accessoires wie radioaktive Potenzgürtel oder Wasseraufbereiter, die Radonwasser mit kurzer Halbwertszeit produzierten. Auf deren Produktion verlegte sich Bailey nun. Er starb 1949 als reicher Mann.
In Europa, wo mit der FDA oder FDC vergleichbare Institutionen in der Regel erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufkamen, sollte ein Verbot von Genussmitteln, die radioaktive Bestandteile enthielten, in manchen Ländern noch über 20 Jahre auf sich warten lassen.
PER RADIOWELLEN ZUBEREITETER TOAST SCHMECKT NIE VERBRANNT, SELBST WENN ER SCHWARZ IST
K ochen per Radiowelle ist der neueste Trick, den sich Radiotechniker ausgedacht haben. Wünschen die Angestellten
einer Sendeanlage einen heißen Mittags-Snack, müssen sie lediglich ihr Essen zwischen die Elektroden eines Senders platzieren. In wenigen Augenblicken ist es perfekt gegart. Brot lässt sich in sechs Sekunden toasten, während Kartoffeln oder ein Steak mehrere Minuten brauchen. Seltsamerweise hat Nahrung, die mit dem Sender zu lange gekocht wurde, keinen verbrannten Geschmack. Auf diese Weise kann man Toast verbrennen, bis er schwarz wird, ohne dass er in irgendeiner Hinsicht anders schmeckte als die Art Toast, die ein Koch mit Stolz servieren würde. Die Ingenieure sind sich unsicher, warum das so ist, gehen aber davon aus, dass es daran liegt, dass das Garen durch die elektrische Entladung stattfindet, während die Elektroden selbst sich nur schwach erwärmen.
Filmstar Fifi D’Orsay genießt ein Sandwich, das man zwischen den Elektroden eines Radiosenders
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