Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
etlichen europäischen Ländern fehlte es bislang völlig an Gesetzen, die solche quasi-medizinischen Dienstleistungen regulierten.
In den USA funktionierte das Geschäft deshalb, weil Bein-und Gesichtsenthaarung als kosmetische Dienstleistungen galten, nicht als medizinische. Das US-Recht behandelte die Röntgen-Enthaarungs-Salons folglich nicht anders als Friseurläden.
Auch Strahlenschutzverordnungen waren noch nicht existent. Damit gab es kaum eine Handhabe, den Salons und selbststilisierten Laboratorien den Betrieb zu verbieten, außer man wies im konkreten Fall Fehlverhalten und Schädigungen nach. In Deutschland und Österreich warnten Ärztekammern und Behörden erst ab etwa 1947 ganz offiziell vor solcher gefährlichen Röntgen-Kosmetik. Auch hier aber erfolgte zunächst kein direktes Verbot – das sollte sich erst später indirekt durch Strahlenschutzbestimmungen ergeben.
Dass Tricho und Konsorten ab Mitte des 20. Jahrhunderts langsam in der Versenkung verschwanden, war eher einem öffentlichen Erkenntnisprozess geschuldet. Die Atombombenabwürfe über Japan hatten klargemacht, dass die vermeintlich heilbringende Kraft der Strahlung – zwischen verschiedenen Arten Strahlung unterschied man oft kaum – eine mitunter tödliche Sache sein konnte.
Dazu kam, dass gerade Ärzte, die bei ihren verzweifelten Patientinnen Zeugen der Folgen von Röntgen-Enthaarung wurden, oft zu vehementen, öffentlich aktiven Gegnern dieser »Methode« wurden. Kein Wunder, denn spätestens ab Anfang der 1930er Jahre begannen sich sogar die Todesfälle zu häufen. In statistisch relevanter, kaum mehr zu übersehender Zahl traten diese jedoch erst als Spätfolgen der Behandlung auf, zehn Jahre und länger nach der eigentlichen Schädigung.
Zu den Ärzten, die wann immer möglich die Trommel gegen die RöntgenStümper rührten, gehörte Donald Ernest Howell Cleveland aus Vancouver, der akribisch Krebsfälle dokumentierte, die seiner Meinung nach durch Röntgen-Enthaarung verursacht worden waren.
1931 gelang es ihm, eine Filiale der Marton Laboratories in Vancouver durch konsequente Offenlegung der Strukturen derart unter Druck zu setzen, dass die Firma bald aufgab – scheinbar zumindest. Sie wurde von einer anderen Firma aufgekauft, die da weitermachte, wo Marton aufgehört hatte. Auch sie zog sich aber bald durch den von Cleveland angeheizten Druck aus dem Röntgen-Enthaarungs-Geschäft zurück, um einer Schließung durch die Behörden zuvorzukommen. Unglücklicherweise blieb Clevelands Erfolg auf die Region beschränkt.
Bemerkenswert ist, was er durch die Befragung der Betreiber des Marton-Shops in Vancouver über die Strukturen dieser ach so wissenschaftlichen Branche zutage förderte. Die Betreiberin, schilderte er in einem 1931 veröffentlichten ersten Aufsatz zum Thema, hatte offenbar keinen blassen Dunst davon, was sie eigentlich tat. Auf die entsprechende Frage hin erzählte sie, die Röntgentechnik habe sie als Zahnarzthelferin in Neuseeland erlernt. Des Weiteren, dass sie dort zwar die Apparate erstmals sah, mit der Bedienung aber nichts zu tun hatte.
Doch dafür hatte sie ihre Ausbildung im Laboratorium des Franchise-Ketten-Betreibers Jules Marcel Marton erhalten – wenn man so will: Das Marton-Labor , das sie in Vancouver leitete, hatte seinen Sitz ursprünglich in einem Hotelzimmer gehabt, wo eine US-Amerikanerin gegen Bezahlung Frauen enthaarte. Die Ausbildung lief nach dem Prinzip »Learning on the Job« ab: Nach zwei, drei Monaten, in denen die Frauen gemeinsam arbeiteten, verhökerte die ursprüngliche Betreiberin das Equipment an die von Cleveland befragte neue Laboratoriumsleiterin und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Ab da war die frisch angelernte neue Betreiberin selbst das Marton-Labor.
Auf die oben geschilderte Weise offenbar hinreichend geschult, war sie nun in der Lage, selbst Detailfragen wie die nach der applizierten Strahlungsintensität klar zu beantworten: »Vier«, gab sie zur Auskunft – was auch immer das heißen mochte.
»Vier« war die Stufe am Wählschalter des Apparats, auf den sie diesen stellen sollte, damit die Haare zuverlässig ausfielen. Clevelands Bericht schlug ein wie eine Bombe.
Mit diesem Protokoll gelang es ihm, eine einstweilige Verfügung gegen den Betrieb des sogenannten Marton-Labors zu erwirken. Es wurde bald aufgekauft und zog um. Das Übel in Vancouver, berichtete Cleveland Jahre später in einem 1948 veröffentlichten Artikel, war damit zwar eingedämmt, aber
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