Der Vollzeitmann
mit Tiefgang. Er würde in der Liste der wichtigsten Berliner zum Aufsteiger des Jahres werden, weit vor Wowereit und nur knapp hinter Preetz.
Der Cabrio-Heini war ausgestiegen und debattierte mit dem Kinderwagen-Typen. Die Schuldfrage war eindeutig. Aber das würde ein Cabrio-Heini nie zugeben, schon gar nicht einer, der Cowboy-Stiefel trug. Der Kerl sah aus wie ein typischer Temposünder: weißes Hemd, einen Knopf zu weit offen, dunkelblaues Jackett, Jeans. Er war einfach zu schnell in die Einfahrt gebrettert. Morgens um fünf kommt schon keiner, hatte er gedacht, also mal eine Runde Roulette versuchen. Kam aber doch einer.
Der Kinderwagen-Typ schlurfte fast jeden Morgen um die Zeit hier entlang. Jochen erkannte ihn am Gang. Er trug diese merkwürdigen Gesundheitsschuhe, deren halbrunde Sohle aus einem Stück Autoreifen zu bestehen schien. Jochen hatte die Treter neulich in einem Schaufenster gesehen: Massai-Technologie, oder so ähnlich. Entwickelte ein afrikanischer Nomadenstamm seit Neuestem orthopädische Technologie? Natürlich nicht.
Vielmehr hatte sich ein Marketing-Lurch die Massai-Story ausgedacht. Perfektes Märchen für Kinderwagenschieber, die auf der ewigen Suche sind nach dem guten einfachen Leben und sich deswegen nicht gerolltes, sondern gefaltetes Klopapier bei Manufaktum bestellen, aus einem kleinen Klopapierfaltbetrieb im Thüringer Wald, dem letzten, der diese fast vergessene Handwerks-Tradition des Klopapierfaltens noch pflegte, natürlich in achter Generation in Familienhand.
Eine Tanke ist das Manufaktum des kernigen Kerls, der Inbegriff des guten, einfachen Lebens. Tank auf, Rüssel rein, Tank zu, Kasse, noch was Süßes, eine Zeitung - gut, klar, einfach, sogar für Massai-Schuhträger mit Biofimmel.
Der Kinderwagentyp winkte immer. Manchmal, wenn das Baby schlief, bog er ein, und sie redeten ein paar Worte. Er trug eine Honk-Brille, arbeitete für eine Agentur, war aber auf Elternzeit. Das Baby schlief nur, wenn es im Kinderwagen durch die Gegend gefahren wurde. Der Massai-Typ hatte alle Tricks versucht, den Kinderwagen in der Wohnung zu bewegen. Aber zu Hause brüllte das Kleine offenbar wie ein Stier. Und seine Frau sollte pennen, die schaffte jetzt das Geld ran. Also fuhr er das Kind im Morgengrauen quer durch die Stadt. Was würde er wohl geben, um auch mal wieder morgens um fünf mit einem Cabrio auf eine Tanke zu brettern? Jetzt stand er vor dem Cabrio-Heini, sah allerdings nicht sehr Furcht einflößend aus. Männer mit Kinderwagen besitzen vielleicht eine moralische Hoheit, aber sie verbreiten keine Angst, erst recht nicht in Massai-Schuhen. Die beiden brüllten sich nicht mal an. Vielmehr schien sich der Cabrio-Heini zu entschuldigen. Na klar. Jochen entdeckte zwei nackte Füße auf dem Armaturenbrett und ziemlich viel Bein. Schade, dass das Verdeck geschlossen war. Der Typ hatte sich offenbar noch Arbeit mit nach Hause genommen. Wenn er sich jetzt mit dem Kinderwagen-Typen anlegte, würde er alle Chancen verspielen. Baby-Väter standen unter Artenschutz.
Während die beiden debattierten, kam der Jogger herangetrabt. Er lief hier seit ein paar Wochen lang, manchmal kaufte er sich was zu trinken. Komischer Vogel. Guckte immer grimmig. Kein Wunder, wenn man um die Zeit durch die Gegend rennt. Schien aber jede Menge Kohle zu haben: edle Klamotten, sauteure Pulsuhr, Blackberry wie eine Dienstwaffe im Oberarmhalfter,die teuersten Clip-Kopfhörer. Der Jogger blickte kurz auf die Streithähne, kam dann auf die Kasse zu, blieb aber drei Meter vorher stehen und hackte plötzlich auf seinen Blackberry ein.
Der Cabrio-Heini reichte dem Kinderwagen-Typ die Hand. Gute Geste.
»Zwischen Kasse und Zapfsäulen verdichtete sich soeben eines der großen Dramen des dritten Jahrtausends: die Krise des Mannes.«
Zusammen mit dem besoffenen Bausparer, der in seinem grünen Geländewagen seit über einer Stunde vor der Waschanlage schlief, waren sie in diesem Moment fünf. Fünf Männer um fünf Uhr morgens auf einer Tankstelle. Fünf Schicksale. Fünf Einsamkeiten. Fünf Sorten Fürze. Die Braut und das Baby zählten nicht. Beide nur Dekor. Hier dominierte der Geruch von Bier, Schweiß und Frostschutz. »Die Tankstelle ist das Frauenhaus des Mannes« - der Satz wurde immer besser.
Zwischen Kasse und Zapfsäulen verdichtete sich soeben eines der großen Dramen des dritten Jahrtausends: die Krise des Mannes. Einer rannte vor seiner Frau weg, einer schob den Kinderwagen, weil seine Frau es ihm
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