Der Vormacher
unterkriegen. Die nächste Woche lege ich mich richtig ins Zeug, und beim Meeting in zehn Tagen knalle ich ein paar ausgezeichnete Projekte auf den Tisch, damit der Chef sieht, was er an mir hat. Ich habe auch meinen Stolz.
Auf dem Nachhauseweg werde ich nachdenklich. Zwei schlechte Nachrichten heute – dass Theodora meine peinliche Nachricht doch bekommen hat und dass der Chef Emil vorziehen will. Aber beide Nachrichten haben auch ihr Gutes. Theodora will mit mir ins Kino. Vielleicht fand sie die Nachricht nicht einmal peinlich. Entweder hat sie nicht gut hingehört, oder – ich muss schmunzeln bei dem Gedanken – sie hat die Nachricht sogar ein paarmal abgehört. Schließlich habe ich eine angenehme Telefonstimme, jedenfalls hat man mir das schon öfter gesagt. Dann fällt mir noch eine dritte Möglichkeit ein. Vielleicht hat Theodoras Bruder nur den Inhalt der Nachricht durchgegeben. In dem Fall kann Theodora den nervösen Unterton in meiner Stimme gar nicht bemerkt haben. Und was Emil und den Chef angeht – so ganz unrecht hat der Chef nicht. Die letzten Wochen habe ich mich hängen lassen. Aber das lässt sich ändern! Dass ich überhaupt von Emils Termin beim Chef erfahren habe, zeigt schließlich, wie gut ich vernetzt bin.
Beim Abendessen lenke ich das Gespräch auf Theodora.
»Der Chef hackt nur auf ihr rum«, sage ich. »Sie hat ihre Reise nach Paris abgeblasen, weil ihr Vater ins Krankenhaus musste. Ihren Urlaub hatte sie schon vor Wochen angemeldet. Und dann tut der Chef so, als ob sie krankfeiert!«
Jana lässt sich leicht entrüsten. Sie hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.
»Sie ist ganz allein«, fahre ich fort. »Im Büro geht immer alles zack, zack, keiner vertraut dem anderen, jeder denkt nur an sich und seine Karriere. Natürlich ist Karriere wichtig! Ich will schließlich auch weiterkommen. Bloß schade, dass das Zwischenmenschliche so leidet. Ich versuche, Theodora ein wenig zu helfen, aber viel kann ich leider nicht machen. Armes Mädchen.«
Der Köder ist gelegt. Das Gespräch schweift ab, Jana erzählt von einem Handbuch für Artillerieoffiziere, das sie übersetzen soll – »mach ich nicht, todlangweilig, viel zu schlecht bezahlt, all die Fachausdrücke, sollen sie sich doch mit einer anderen Übersetzung totschießen«. Dann beratschlagen wir, ob wir den Sommer zu Hause verbringen und erst im Herbst ein paar Wochen wegfahren. Beim Nachtisch kommen wir über Umwege wieder aufs Büro zurück.
»Tja, eine harte Welt«, sage ich. »Manchmal wünsche ich mir, ich könnte auch von zu Hause aus arbeiten.«
»Vielleicht«, sagt Jana, »sollten wir Theodora mal einladen.«
Mit Mühe verkneife ich mir ein Lächeln. Ich kenne meine Jana und weiß, wie man einen Gedanken säen muss und wie lange er braucht, um in ihr zu reifen. Jetzt ist Erntezeit.
»Gute Idee«, sage ich mit gespielter Verblüffung. »Darauf bin ich noch gar nicht gekommen. Aber vielleicht nicht gleich zu uns nach Hause, wenn man sich noch nicht so kennt.«
Jana nickt. Wenn ich sie dazu kriege, das Wort »Kino« als Erste auszusprechen, habe ich gewonnen. Ich pfeife leise vor mich hin.
»Was pfeifst du da?«, fragt Jana neugierig. »Das kenne ich doch!«
»Hm«, sage ich. »Weiß auch nicht. Ging mir gerade so durch den Kopf.«
Jana hebt den Zeigefinger.
»Aus einem Film«, sagt sie.
Ich zucke die Schultern.
»Was Altes jedenfalls«, brumme ich.
»Ja, ja«, sagt Jana. Sie saugt an ihrem Handgelenk und nickt dabei leicht mit dem Kopf. Das ist ein Zeichen höchster Konzentration.
»Spiel mir das Lied vom Tod!«, rufen wir gleichzeitig. Wir lachen. Dann sagt sie: »Warum nehmen wir Theodora nicht mit ins Kino? Hat sie den neuen Jaquinet schon gesehen?«
Bingo.
I m Traum laufe ich mit Emil um die Wette. Es ist dunkel, wir jagen durch endlose Korridore, erst ist er vor mir, dann hinter mir, dann wieder weit vor mir, nie ist sicher, wer in Führung liegt. Auf einmal ist er mir ganz dicht auf den Fersen, er ist ein Menschenfresser, der Vize des Häuptlings, hinter ihm rennen Hunderte weiß geschminkte Krieger und schwingen ihre Speere. Da sind Jana und Theodora, beide mit dicken Bäuchen. Ihre Zähne sind spitz. Sie zeigen auf mich und lachen, weil ich keine Hose anhabe. Ich erwache schwitzend, mit Herzklopfen. Es ist zu warm zu zweit in einem Bett.
Am Morgen dröhnt mein Schädel, als ob er auf Vibrationsalarm stünde. Ich trinke einen dreifachen Nescafé und esse eine Tafel Schokolade.
Weitere Kostenlose Bücher