Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
Vom Netzwerk:
Telefon und bestürmt ihre Schwester mit Fragen nach alternativen Geburtsmöglichkeiten. Am liebsten will sie eine Wassergeburt, noch lieber aber eine Wassergeburt zu Hause, wofür unsere Badewanne natürlich zu klein ist. Wenn ihre Schwester gerade mit ihren Bälgern beschäftigt ist, hängt Jana vor dem Computer und postet in Foren für werdende Mütter. Es ist nicht zum Aushalten. Übrigens war sie so beeindruckt von der Titronal-Geschichte, dass sie sogar meinen Eltern davon erzählt hat, worauf sich mein Vater bei mir meldete mit der Frage, »ob so was karrieretechnisch nicht ein bisschen ungeschickt« sei.
    Wenn wir Sex haben – und Jana will dauernd Sex, daher auch mein Verdacht mit der Pille –, muss ich an Theodora denken. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich sie für ein paar Sekunden vor mir, bis Jana wieder so ein Geräusch macht, von dem ich genau weiß, dass Theodora es ganz anders machen würde. Und wenn sie kein Geräusch macht, ist es Janas Geruch, der mich in die Wirklichkeit zurückzwingt. Jana ist in einem Zustand ungetrübter Euphorie, der sie blind macht für meinen Zustand. Egal, wie grob ich bin, sie weiß es immer so aufzufassen, als ob es nur lieb gemeinte Brummigkeit wäre. Wenn ich nicht schlafe oder arbeite, denke ich an Theodora, an nichts als Theodora, immer nur Theodora. Das Schlimmste ist das Wissen, dass ich sie hätte haben können; das hat sie schließlich im Kino angedeutet, als wir kurz allein waren. Sie wollte mit mir ins Kino, sie wollte bei mir sein, sie wollte mich – jedenfalls war sie nicht abgeneigt, das ist sonnenklar. Aber die Freundlichkeit, die sie jetzt zur Schau trägt, ist eine andere – kein Flirten mehr, eher eine offene, schwesterliche Zuneigung, wie unter alten Freunden. Das hat mir noch gefehlt. Außerdem ist Linda auf einmal so frostig mir gegenüber. Sie kommt nicht mehr auf einen Kaffee vorbei, und wenn ich sie grüße, grüßt sie zwar zurück, blickt dabei aber nicht auf. Ein schlechtes Zeichen. Wahrscheinlich lässt sie mich fallen, weil der Chef mich fallen lässt.
    Das Schlimmste ist, dass Theodora jeden Tag schöner wird. Von dem Abend im Kino kenne ich alle ihre Seiten – das meine ich ganz wörtlich, ich habe sie von vorne, hinten, von der Seite gesehen, ganz aus der Nähe, ich habe sie gerochen, ich habe stundenlang ihre Stimme gehört, ich habe den Kummer über die verpasste Gelegenheit in ihrem Blick erkannt. Früher hatte ich immer die gleiche Fantasie, Theodora vor mir auf den Knien im Aktenzimmerchen, eine Vorstellung, die mich immer wieder erregt hat, aber auf eine routinierte Art und Weise, wie eine angenehme Erinnerung, die man pflegt. Jetzt, wo meine Chancen auf null gefallen sind, geht meine Fantasie mit mir durch. Ich sehe Theodora überall – jede schlanke Frauengestalt, die mir auf dem Weg zur Arbeit begegnet, lässt mich aufschrecken. Jedes Mal, wenn mein Telefon klingelt, hoffe ich, dass sie es ist. Manchmal klopft sie bei mir an, wie Linda das früher immer getan hat, um ein paar Worte zu wechseln. Dann wird mir ganz heiß, und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Gestern war ich, nachdem ich ein Projekt abgeschlossen hatte, in einen Tagtraum versunken – sie lag auf meinem Schreibtisch, halb nackt, ich hatte mein Gesicht in die feuchte Hitze zwischen ihren Beinen gedrückt –, da kam sie zur Tür hinein und fragte, ob wir – Jana und ich – eigentlich schon einen Namen für unser Kind hätten. Als sie wieder weg war, habe ich die Tür abgeschlossen und mir einen runtergeholt. Als ich mit einem Taschentuch in der Hand auf dem Boden kniete, um sicherzugehen, dass kein verräterischer Tropfen zurückgeblieben war, überkam mich eine Welle von Scham. Für Jana bin ich der einzig Wahre, geliebter Mann, Partner für die Ewigkeit, Vater ihrer zukünftigen Kinder. Für Theodora bin ich der aufrechte, mutige Kollege, eine Art großer Bruder vielleicht. In Wirklichkeit bin ich keines von beiden. Jana muss blind sein, dass sie das nicht merkt, obwohl wir schon jahrelang unter einem Dach wohnen. Und Theodora – ja, ich bin verliebt, aber was für eine Verliebtheit ist das? Die Verliebtheit eines Dackels, der auf einem fremden Hosenbein reitet. Theodora »als Mensch« interessiert mich nicht, Theodora als hin und her zuckende Arschbacken in einer Dreiviertelhose dafür umso mehr, genauso wie Jana »als Mensch« mich nie interessiert hat. Geliebt habe ich sie nie. Verliebt war ich, genauso, wie ich jetzt verliebt bin, eine

Weitere Kostenlose Bücher