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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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sogar Linda eifersüchtig auf mich! Ob sie lesbische Veranlagungen hat? Ein interessanter Gedanke. Mir gefällt es, auf einmal so viele Frauen zu haben. Ich verstehe, dass Theodora ein bisschen Zeit braucht. Das ist eine Gewissensfrage. Sie will mich, das steht fest; aber sie weiß von Jana, sie ist beeindruckt von meiner aufrechten, treuen Liebe zu einer todkranken Frau, und darum verträgt es sich nicht mit ihrem Gewissen, was mit mir anzufangen. Deshalb auch das Doppeldeutige ihrer Einladung, bei ihr zu wohnen. Sie will mich bei sich haben und benutzt das freie Zimmer als Alibi, eine einfache Hilfeleistung also, obwohl sie mich eigentlich in ihrem Bett haben möchte. Aber so weit zu gehen, das traut sie sich nicht, nicht nur aus Angst vor Abweisung, obwohl das vielleicht auch ein wenig mitspielt, sondern vor allem aus Pietät. Sie hat Jana kennengelernt; sie versteht, wie wichtig diese letzten Wochen für meine Frau und mich sind; und so wartet sie ruhig ab, oder jedenfalls so ruhig wie möglich. Ich will nicht wissen, was sie sich alles vorstellt, während wir in einer Wohnung schlafen, nur durch zwei Holztüren und wenige Schritte voneinander getrennt. Ich habe Zeit.
    »Du machst einen glücklichen Eindruck«, sagt Jana ein paar Tage später, bei meinem täglichen Besuch. »Das ist schön.«
    »Ich denke die letzte Zeit viel an früher«, sage ich. Und das stimmt. Ich übe nämlich, meine Vergangenheit neu zu bewerten, so wie Fritz es gesagt hat – ich bestimme selbst, ob die Vergangenheit gut oder schlecht war. Eigentlich habe ich viel mehr richtig gemacht, als ich immer gedacht habe.
    »Weißt du noch, der Tag, an dem wir zusammengekommen sind?«, fragt Jana. Ich erinnere mich genau. Ich war hundsnervös den ganzen Tag, wir sind zusammen mit dem Auto aufs Land gefahren, zum Picknicken, am Morgen hatte ich Durchfall, die Nerven, beim Picknick selbst habe ich mich angestellt wie ein Idiot, am Abend musste ich kotzen. Super Tag war das.
    »Du warst so niedlich«, sagt sie lächelnd. »Wie du den halben Kaffee auf die Picknickdecke geschüttet hast …«
    »Ich war ein wenig durcheinander«, sage ich. Die Erinnerung ist mir unangenehm, aber ich zwinge mich zur Reinterpretation. »Ich war halt verliebt, weißt du?«
    Sie nickt glücklich.
    »Das weiß ich, obwohl du es nie gesagt hast«, sagt Jana.
    »Am Abend war mir schlecht vor Glück«, füge ich hinzu. »Das habe ich dir nie erzählt, aber ich konnte nichts essen, den ganzen Abend nicht, auch am nächsten Morgen nicht.«
    »Du wolltest mich nicht besuchen am nächsten Tag«, erinnert sie sich. »Ich war so enttäuscht, dass du am Abend nicht geblieben bist, und dann konntest du am nächsten Morgen auch nicht kommen, obwohl du es erst versprochen hattest.«
    »Ich habe mich nicht getraut«, sage ich, »ich war so weg von dir.« In meiner alten Erinnerung war es wegen dem Kotzegeschmack im Mund, ich hatte eine Viertelstunde lang Zähne geputzt, aber es hatte nicht geholfen, nur mein Zahnfleisch hatte ich mir blutig geputzt, und so wollte ich mich nicht wieder zeigen, aus Angst, dass sie mich abweisen würde. Eigentlich komisch, wie sehr ich damals hinter Jana her war, hinter der Frau, die mir danach jahrelang nichts weiter war als ein Klotz am Bein … halt. Falsche Erinnerung. Falsche Interpretation.
    »Ich bin so froh über die Jahre, die wir gehabt haben«, sage ich. »Ich meine, die Jahre, die wir noch haben. Du wirst bestimmt wieder gesund.«
    Sie schüttelt den Kopf. Ich komme mir vor wie im Film. Jetzt wird sie sagen, dass sie sich arrangiert hat mit dem Tod, dass es gut war, solange es gedauert hat (»it was good as long as it lasted«, heißt das in dem Film mit der alten Frau, den wir so oft gesehen haben).
    »Ich habe Angst«, sagt sie.
    Ich bin nicht so dumm, darauf einzugehen, ich nehme sie in den Arm, ich weiß, was sich gehört. Sie hat Angst; ich beschütze sie; irgendwann später kommt dann der Moment, in dem sie sich mit dem Tod arrangiert hat, so geht es immer, jedenfalls im Film. Ich bin gerne bei Jana im Krankenhaus, ich weiß immer, wie ich reagieren muss. Das Beste ist, dass ihre Mutter mir ausweicht. Einmal war sie im Zimmer, ich kam herein und ging gleich wieder, als hätte ich mich im Zimmer geirrt, dann kam ich fünf Minuten später zurück, und sie war verschwunden. Ich glaube, Jana hat das veranlasst, bestimmt hatte sie Angst, dass ich sie nicht mehr besuchen würde. Übrigens mache ich jetzt wahr, was ich gegenüber Theodora nur

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