Der Vormacher
mir noch was verbieten?«
Sie schenkt ein, wir prosten uns zu, sie leert ihr Glas mit einem Schluck zur Hälfte.
»Wie früher«, sagt sie und kichert.
Da öffnet sich die Tür. Ich traue meinen Augen kaum.
»Luigi!«
» Buona sera, signora, signore «, sagt er und strahlt. Er trägt sein schwarzes Hemd, die weißen Schuhe, den Gürtel mit dem großen Portemonnaie aus Leder, ganz wie im Restaurant.
» Gli antipasti «, deklamiert er.
»Komm«, sagt Jana. Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich zum Tisch.
» Prego «, sagt Luigi, als er den großen Teller mit Vorspeisen zwischen uns auf den Tisch stellt. » Buon appetito! «
» Grazie «, sagt Jana. Der Wein hat etwas Farbe in ihre Wangen zurückgebracht.
» Molte grazie «, sage ich. Luigi verbeugt sich, dann macht er auf dem Absatz kehrt und marschiert aus dem Zimmer.
»Na?«, fragt Jana stolz.
»Unglaublich«, sage ich. Noch immer hält sie meine Hand, über dem Tisch, über dem Vorspeisenteller. Ich küsse ihre Hand und ziehe meine dann zurück.
»Wie ein Traum«, haucht Jana. »Eine Erinnerung, die Wahrheit wird. Ein Stückchen Früher.«
Ich lächle ihr zu. Gleichzeitig ist mir ein wenig unheimlich zumute. Einen Moment lang scheint es wirklich, als hätte sie uns in die Vergangenheit zurückgezaubert, als säßen wir wieder bei Carlini, wie früher so oft. Nicht nur das Besteck und die Gläser, auch die Tischdecke ist von Carlini, und an der Wand hängt das nostalgische Schwarz-Weiß-Foto, das normalerweise im Restaurant bei unserem Tischchen über dem Fenster hängt.
»Mein Schatz«, sagt Jana und füttert mich mit einer getrockneten Tomate. Wie eine Sturzflut überfällt mich die Erinnerung. Eigentlich habe ich die Abende bei Carlini immer gehasst. Ein Grund, warum ich mich mit der kranken Jana so viel besser verstehe als mit der gesunden, ist wahrscheinlich der, dass es kein Carlini mehr gibt, für uns jedenfalls nicht mehr. Aber das hat Jana nie begriffen. Das habe ich wahrscheinlich auch nie klar gesagt, ich habe still gelitten, manchmal habe ich mir Luft gemacht, indem ich einen Abend lang schlechte Laune hatte, aber darüber hat Jana großmütig hinweggesehen, »du bist halt so, mein Brummbär«, hat sie dann gesagt, als wäre die schlechte Laune ein Teil von mir. Dabei war ich nur feige! Ich hätte viel früher Schluss machen müssen mit der Selbstquälerei, ich hätte stark und entschieden sein müssen, schon vor Jahren, dann hätte ich mir unzählige Carlini-Abende erspart. Aber Jana war glücklich mit mir, sie war glücklich, weil sie blind war, weil sie blind sein wollte, und dass ich dabei unglücklich war, das hat sie gar nicht gemerkt. Oder, noch schlimmer: Sie dachte, dass es immer so sei, dass ich eben so sei, dass ich gar nicht anders könnte.
»Was ist denn, Henri?«, fragt Jana. Ich rapple mich auf, mein Gesichtsausdruck muss mich verraten haben.
»Nichts«, lüge ich, und dann, um doch noch etwas Wahres zu sagen: »Ich musste an früher denken.«
»Ich verstehe.« Sie legt mir die Hand auf den Arm. Ich schenke ihr einen liebevollen Blick. Am liebsten würde ich in Tränen ausbrechen, oder schreien, oder mich in Luft auflösen. In diesem Moment kommt Luigi wieder ins Zimmer.
»Ist alles nach Wunsch?«
Er nimmt die Flasche aus dem Kühler und schenkt uns nach. Was hat sich dieser Luigi eigentlich gedacht, als Jana ihn ins Krankenhaus gebeten hat? Wahrscheinlich war er gerührt. Italiener sind sentimental, das weiß man ja. Vielleicht sogar mehr als das, er tut immer so charmant, es würde mich nicht wundern, wenn er selbst ein Auge auf Jana geworfen hat. Aber in ihrem jetzigen Zustand? Ich tue ihm wahrscheinlich Unrecht. Es wird wohl ein Freundschaftsdienst sein für einen alten Stammgast. Warum denke ich immer so schlecht über andere Leute? Das galante Auftreten, die feurigen Blicke, die italienischen Satzfetzen, die er nach jedem zweiten Satz einstreut, all das gehört schließlich zu seiner Rolle, zu der Figur, die er spielen muss. Privat ist er wahrscheinlich ganz anders. Erst jetzt begreife ich, was ein Restaurant eigentlich ist, jedenfalls ein Restaurant im Carlini-Stil. Es ist ein Theaterstück mit Wein und vornehmen Servietten, immer dasselbe Stück, ein Stück über Luxus und Eleganz, in dem man für ein paar Euro mitspielen darf als verwöhnter Gast mit Stil, als Lebenskünstler und Gourmet, der weiß, was al oglio bedeutet und was ein Nero d’Avola ist, oder als schöne, umschwärmte Dame, die sich von
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